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Kategorie: Und sonst

Warum Storify das Internet ein bisschen besser machen könnte

Xavier Damman ist Gründer und CEO von Storify. Foto: Storify

Xavier Damman ist Gründer und CEO von Storify. Foto: Storify

Das Internet wird von Geheimdiensten überwacht und von Shitstorm-Idioten tyrannisiert. Aber abgesehen davon steckt es immer noch voller guter Möglichkeiten. Eine davon heißt Storify. Diese Social-Media-Plattform wird die Welt nicht retten (geschweige denn Facebook ersetzen), aber wenn man eine Nummer kleiner akzeptiert, kann man damit interessante Geschichten erzählen; zusammengestellt aus Artikeln, Tweets, Facebook-Posts, Bildern und Videos unterschiedlicher Internetnutzer.

Wie die meisten guten Ideen ist auch die des Storify-Gründers Xavier Damman (ein Belgier in San Francisco) simpel: Man sammelt Inhalte zu einem bestimmten Thema und stellt sie per Drag and Drop in der gewünschten Reihenfolge zusammen. Jedes dieser Content-Collagen („Storifies“) ist eigentlich nichts anderes als das klassische Dossier. Nur übersichtlicher und vielfältiger in der Auswahl der unterschiedlichen Quellen und Netzwerke. Aber das ist nur die eine Seite.

Denn Storify zieht nicht nur Inhalte aus dem Netz, sondern gibt sie in neuer Form auch wieder an das Netz zurück. Jede Storify-Collage lässt sich über einen Embed-Code in jede Webseite einfügen. Das funktioniert genau so einfach wie bei einem YouTube-Video und macht Storify für Medienhäuser besonders interessant. Eingebettet in einen redaktionellen Artikel bei Spiegel Online, Süddeutsche.de oder neuerdings auch bei W&V (hier steht, was ich mit W&V zu tun habe) zahlt der Storify-Content auf das IVW– und Reichweitenkonto der jeweiligen Verlage ein.

Die Idee, Inhalte aus dem Netz zu sammeln und diese Auswahl mit anderen Nutzern zu teilen, ist nicht neu. Vor zehn Jahren versuchte man das über Social Bookmarks. Aber anders als die spröden Linklisten der Web2.0-Ära bietet Storify alles, was eine gute Online-Geschichten braucht: Bildhaftigkeit, Tempo, mehrere Perpektiven, Rhythmus.

Redaktionen können ihre eigenen Inhalte mit denen ihrer Leser und sogar ihrer Wettbewerber kombinieren (sofern kurativer Journalismus für sie kein Schimpfwort ist). Natürlich können Sie aber einfach nur Tweets zu #ibes sammeln. Es gibt viele Möglichkeiten und im Augenblick kenne ich nur einige davon.

Wahrscheinlich bleibt es ein frommer Wunsch, aber Storify könnte nicht nur zu einem offeneren Journalismus führen (das Wort kollaborativ verwende ich lieber nicht). Storify hätte auch das Potenzial, soziale Medien ein bisschen weniger oberflächlich zu machen. Ein lustiges Foto und ein flotter Spruch auf Facebook sind ja schnell gepostet, die Unterschrift unter die nächste Lanz/Brüderle/Thomas Krüger/Wer-auch-immer-muss-weg-Petition geht noch leichter von der Hand und ein Like oder Fav sowieso. Aber bei Storify unterschiedliche Meinungen zu einem bestimmten Thema zu sammeln, zu ordnen und darüber nachzudenken: das wär’s doch mal.

Ich hoffe, Patrick Breitenbach lässt das hier als Beitrag zum Thema #Internetoptimismus durchgehen. Seine Blogparade verdient jedenfalls Unterstützung.

Lobos Internet und Broders Kondome

Henryk M .Broder

Henryk M .Broder / Wikipedia / Creative Commons

Wenn Henryk M. Broder von jemanden behauptet, er verstünde etwas nicht richtig, dann meint er damit gewöhnlich: „Jemand hat eine andere Meinung als ich“. Diesmal geht es dem „Welt“-Kolumnisten um Sascha Lobo, der in in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ausführlich, sehr persönlich und ziemlich gut über die Deformation des Internets durch die NSA-Affäre geschrieben hat („Das Internet ist kaputt“). Alles nicht so schlimm, meint Broder, denn Lobo „versteht nur das Wesen der Dinge nicht richtig“.

Das Internet sei weder kaputt noch gut oder böse. Es handle sich ja nur um eine Technologie. Und Technologien würden manchmal eben missbraucht. So wie ein Lastwagen, der Soldaten an die Front transportiere statt Tomaten auf den Markt. Oder ein Messer, mit dem man nicht immer Brot schneide, sondern manchmal auch die Schwiegermutter. Oder ein Kondom, das prinzipiell ja auch für eine Vergewaltigung…..Und so weiter und so weiter.

Man kennt diese Argumentation von amerikanischen Waffenlobbyisten: Das Gewehr ist nie das Problem, höchstens der Schütze. Also her mit der Knarre.

Wie in jeder Digital-Debatte darf natürlich auch die beliebte Buchdruck-Analogie nicht fehlen. Der Blogger Don Dahlmann kann zwar den „Frust von Sascha Lobo verstehen“, tröstet  aber mit dem Hinweis auf die Luther-Bibel:

„Weder konnte die Überwachung der Druckereien, noch konnten Strafen die Verbreitung verhindern. Mitte des 17. Jahrhunderts stand die Luther-Bibel in 40 % aller deutschsprachigen Haushalte“.

(Die Zahl bezweifle ich übrigens, denn unmittelbar nach dem 30-jährigen Krieg könnte das Luther-Bibel-Geschäft an deutlich mehr als an 60 Prozent der deutschsprachigen Haushalte vorbei gegangen sein. Wegen folgender Ausschlusskriterien: 1. Armut 2. Analphabetismus 3. Katholizismus).

Es hat etwas Ironisches, wenn ausgerechnet die Gesundbeter der Internets mit analogen Gegenständen wie Messern, Kondomen und Luther-Bibeln argumentieren. Was sie dabei übersehen: Es geht nicht um die Verbreitung einer Technologie, nicht um ihren gelegentlichen Missbrauch und auch nicht um die von Karsten Lohmeyer behandelte Frage, wie wir das jetzt Internet besser oder produktiver nutzen können.

Es geht darum, dass Kommunikation und Überwachung im Internet siamesische Zwillinge sind, die niemand voneinander trennen kann – jedenfalls nicht nach heutigem Stand der Dinge. Die Spitzel-Affäre mit ihren Verästelungen bis in die Werbeindustrie hinein ist kein Betriebsunfall im Internet, sie ist Teil des Internets. Und anders als friedliche Nutzer von Messern, Lastwagen und Kondomen sind harmlose Onliner nicht die Guten. Sondern die Dummen.

Wir liefern Futter für die Kraken. Mit unseren Daten und Cookies mästen wir das Monster. Wir verdammen den Missbrauch des Internets und machen ihn zugleich möglich, jeden Tag, mit jedem Klick. Egal ob auf Facebook, in einer Mail oder über einer Suchanfrage. Eine Wahl haben wir nicht, denn es gibt kein anderes Internet. Das ist das Dilemma. Reden wir also nicht von Kondomen.

Die „Welt“ und ihr Krieg: Sorry, wir waren trotzdem die Bösen

Die gute Nachricht ist: Von Kaiser Wilhelm ist Welt.de noch ein ganzes Stück weit entfernt. So verlogen bizarr wie Seine Majestät im August 1914 („Mitten im Frieden überfällt uns der Feind“) argumentiert die „Welt“-Redaktion nicht. Ihre soeben gestartete Serie über den Ersten Weltkrieg relativiert die deutsche Verantwortung für Europas Ur-Katastrophe nur. Zum Auftakt hat „Welt“-Autorin Cora Stephan einen Artikel aus dem vergangenen November recycelt. Die Kernthesen lauten hier wie dort:

  1. „Das Deutsche Reich war nicht ’schuld‘ am Ersten Weltkrieg“
  2. Eigentlich wollte Deutschland sich ja nur verteidigen
  3. Irgendwie waren doch alle auf Krawall aus
  4. Wenn England nicht eingegriffen hätte, wäre aus dem Krieg kein Weltkrieg geworden
  5. Und darum sind wie Deutschen ein Land wie jedes andere. Lassen wir uns keine Kriegsschuld einreden, denn:

    „Aus der Distanz von nunmehr fast hundert Jahren erscheint die Schulddebatte ein wenig wie die Fortführung jener kriegsüblichen Propaganda, der das Deutsche Reich damals kaum etwas entgegenzusetzen wusste, das sich in der Rolle des „Barbaren“, der belgische Frauen und Kinder schändete, vorgeführt sah.“

Gut, wir leben in einem freien Land. Man darf so etwas schreiben. Aber bevor noch „Welt“-Haudegen Tilman Krause in die Debatte eingreift und der SPD die Schuld am Ersten Weltkrieg gibt (nach seinem legendären Artikel über Annette Schavan muss man derartiges befürchten) sollten wir uns alle miteinander noch einmal die Fakten vergegenwärtigen:

  1. Der Erste Weltkrieg begann damit, dass die verbündeten Mächte Deutschland und Österreich-Ungarn Nachbarstaaten den Krieg erklärt haben und dort einmarschiert sind.
  2. Deutschland kannte überhaupt keine Alternative zum großen europäischen Showdown, weil sein einziges militärisches Konzept (Schlieffen-Plan) idiotischerweise nur den offensiv herbeigeführten Mehrfrontenkrieg vorsah.
  3. Deutschland hat gleich zu Beginn des Krieges zwei neutrale Länder überfallen und im größeren der beiden, in Belgien, Kriegsverbrechen wie aus dem Lehrbuch der Waffen-SS-begangen. Allein in der wallonischen Stadt Dinant massakrierten im August 1914 deutsche Truppen 674 Zivilisten, darunter 92 Frauen und 14 Kleinkinder unter fünf Jahren. Das  jüngste Opfer war ein drei Wochen alter Säugling.

Nur in einem Punkt mag die von der „Welt“ monierte Barbaren-Propaganda der Alliierten nicht gestimmt haben: Vielleicht haben die Deutschen wirklich keine belgischen Frauen und Kinder geschändet. Sie haben sie nämlich einfach umgebracht.

Dumm geplant, brutal begonnen, erfolglos geführt, erbärmlich beendet und zum Schluss noch die Dolchstoßlegende: Das ist der Beitrag der deutschen Eliten zum Ersten Weltkrieg. Gut, dass es 100 Jahre her ist. Aber vergessen wir es trotzdem nicht.

Neue Innovationsfehlerwege: Wenn das Phrasenschwein dreimal pfeift

Das Phrasenschwein ist auch so eine bedrohte Tierart. Die Zukunft-der-Medien-Debattierer stopfen gerade so viele Fünf-Euro-Scheine rein, dass es es irgendwann platzen muss. Verfolgt man zum Beispiel auf Twitter die Diskussion im Münchner Presseclub „Die Huffington Post Deutschland: Die Zukunft des Online-Journalismus oder ein Schritt in die falsche Richtung?“ fragt man sich: „Wie lange hält das arme Tier das noch aus? Und geht unwillkürlich in Deckung, um nicht von umherfliegenden Porzellanteilen getroffen zu werden. Folgende Sätze machen dem Schwein und einer konstruktiven Debatte besonders schwer zu schaffen:

  1. Wir müssen neue Wege gehen
  2. Wir müssen Fehler machen
  3.  Im Valley

Macht zusammen 15 Euro. Eine überschaubare Investition, aber dann doch zu wenig, um der Medienbranche weiterzuhelfen.

Lange Zeit hat man ja hilflose, tumbe Verleger als das eigentliche Problem ausgemacht. Es mag sie geben. Aber langsam frage ich mich, ob Innovationsfolkloristen im Kapuzenpulli wirklich die bessere Alternative sind. Nichts gegen das Valley (Disclaimer: Ich war noch nie im Valley, würde aber gerne mal hin und Sie müssen nicht weiterlesen, wenn ich mich damit in Ihren Augen disqualifiziert haben sollte).

Nichts gegen das Valley also, aber wenn die Medienbranche Innovationskultur lernen soll: Warum fängt sie nicht schon mal vor ihrer Haustür an und lernt von mittelständischen Maschinenbauern in Baden-Württemberg oder im Sauerland? Von Technologie-Unternehmen, die einfach nur innovativ sind? Das klingt echt uncool. Aber man könnte schon in Geislingen an der Steige und in Attendorn einiges mitbekommen. Zum Beispiel, Innovationen als absolut selbstverständlich zu betrachten und sie einfach zu machen, statt auf Medienpodien oder in Blogs darüber zu schwadronieren. Eigentlich ist es absurd: Wir sind die Technologie-Nation der Ingenieure und Erfinder, aber wir akzeptieren Innovationen nur, wenn man Hoodies dabei tragen kann.

Mein Vater war fast 40 Jahre Ingenieur in so einem langweiligen Unternehmen. Konstruktionsabteilung, Bereich Servotechnik. Von 7 bis maximal 17 Uhr, zum Mittagessen immer nach Hause. Sehr uncool, aber jede Menge Patente und immer schwarze Zahlen. Leider kann ich ihn seit einigen Jahren nicht mehr fragen, aber ich weiß, wie er auf „Wir müssen neue Wege gehen“ und „Fehler sind wichtig“ reagiert hätte: „Was glaubst du eigentlich, was wir in der Firma den ganzen Tag lang machen?“

„Woher kommt dieser unglaubliche Hass, diese Häme auf die FDP?“

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Rainer Brüderle im Photoshop-Modus. Foto: FDP.

Am Tag eins nach der FDP zitiert Spiegel Online einen abgewählten Bundestagsabgeordneten:

„Woher kommt dieser unglaubliche Hass, diese Häme auf die FDP?“

Man kann das nicht rechtfertigen, aber vielleicht erklären.

Erstens: Die Glaubwürdigkeit der Marke FDP tendiert gegen Null und einer der Gründe dafür hat sich in über 30 Jahren verfestigt. Ich meine damit den Koalitionsbruch von 1982 als Ausgangspunkt, die so genannte „Bonner Wende“, den Sturz von Helmut Schmidt. Die Verachtung, die der FDP heute entgegenschlägt, entstand in diesem Herbst. Sicher brachte die FDP damals wichtige Argumente für den Wechsel zur CDU vor. Aber diese Argumente konnten Millionen Deutsche nicht nachvollziehen und schon gar nicht akzeptieren; für sie war es „Verrat“ am sozialliberalen Bündnis und natürlich am Kanzler selbst. Ich durfte damals zwar noch nicht wählen, aber ich kann mich an die damalige Stimmung und den „Schmidtleidseffekt“ bei den folgenden Landtagswahlen noch gut erinnern. Diese „Wende“ hat sich in das kollektive Gedächtnis von zwei linksliberalen Generationen eingebrannt. Die leeren „Mehr-Netto“-Versprechungen von 2009 haben der FDP den Rest gegeben. Sie hat sich damit auch bei weiten Teilen ihrer wirtschaftsorientierten Wählerschaft unmöglich gemacht.

Zweitens: Das Personal. Jede Partei hat ihre peinlichen Protagonisten, Skandalnudeln und Knallchargen. Die Union kann zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff aufbieten. Trotzdem bleibt der Fremdschäm-Faktor der „Liberalen“ unerreicht (die Anführungszeichen erkläre ich gleich). Keine andere im Bundestag vertretene Partei hat es bis jetzt fertiggebracht, einen rechtskräftig verurteilten Steuerkriminellen zum Vorsitzenden zu wählen und Menschen wie Jürgen Möllemann groß werden zu lassen. Die FDP ist eine Partei, der nichts und niemand peinlich zu sein scheint. Das erklärt auch die Kanzlerkandidatur von Guido Westerwelle 2002 und den Winzerfest-Agitator Rainer Brüderle, dessen Vorgänger als FDP-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz übrigens einen Juwelenladen überfiel, nachdem er aus dem Landtag geflogen war. (Auch das ist eine Geschichte, die vielleicht nur einem FDP-Spitzenpolitiker passieren kann). Aber jetzt kommt ja Christian Lindner.

Drittens: Das Programm und damit das Produktversprechen. Die FDP vermarktet sich als Deutschlands parteigewordenen Liberalismus. Was ungefähr so realistisch ist wie das wachspuppenhafte Foto von Rainer Brüderle über diesem Artikel. Tatsächlich ist die FDP in ihrer heutigen Form eine zutiefst konservative Partei. Im Grunde genommen geht es ihr nämlich nicht um die liberalen Großthemen Freiheit und Fortschritt, sondern um Besitzstandswahrung für ihre Klientel. Das liberale Feld der FDP wäre eigentlich die digitale Welt. Aber als es um die Legalisierung des Online-Medikamentenhandels ging, stand sie auf Seiten der klassischen Apotheker und die Frage nach einem modernen Urheberrecht beantwortete sie mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Man kann solche Standpunkte vertreten. Aber nicht unbedingt mit dem Etikett der Liberalität.

Man muss jedenfalls nicht auf dem Grab der FDP tanzen, um festzustellen: Diese Partei braucht ’s nicht. Verkneifen wir uns aber den inneren Autokorso. Das Missmanagement der FDP-Spitze kostet immerhin mehrere hundert Arbeitsplätze.

Die perfekte Retro-Welle

Bild

Es ist paradox. Die digitale Gesellschaft arbeitet an der Zukunft, aber sie liebt die Vergangenheit. Sie freut sich über polaroide Instagram-Fotos im Stil der 70er,  sie schwört auf handgefilterten Bohnenkaffee (z.B.) von Coffee Circle und sie möchte sich auf Retro-Fahrrädern mit Weinkisten auf Frontgepäckträgern fortbewegen (In Rahmenfarbe lackiert. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe das alles gerade im Internet bestellt).

Foto: Achielle / http://achielle.tumblr.com/

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