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Der Mann, der Meedia retten will

Arbeiten mit Matthias Oden ist wie Bahn fahren in der Schweiz: Es geht über Berge und durch Täler, aber unterm Sitz liegt kein Müll, die Heizung funktioniert, und man kommt pünktlich an. Wir lernten uns 2014 kennen, als er stellvertretender Chefredakteur der W&V im Süddeutschen Verlag und damit auch mein Vorgesetzter wurde. Ich kam gut mit ihm klar. Matthias ließ mich machen, war aber immer ansprechbar, wenn es ein Problem gab, und sorgte für eine Lösung. Als Führungskraft ist er kein Konsens-Typ, sondern einer, der klare Ansagen macht. Ein Ja ist ein Ja, und ein Nein ist ein Nein. Das klingt unmodern, aber es hilft enorm.

Matthias kümmerte sich am Anfang vor allem um die Print-Ausgabe. Er hatte den Auftrag, das gedruckte Magazin besser und attraktiver zu machen, und das tat er. Er forderte höchste Qualität in Text und Gestaltung und machte keine Gefangenen. Seinen Text-Styleguide ließ er sogar in den Toiletten aufhängen, in jeder einzelnen Kabine.

Als Journalist konnte man viel von ihm lernen. Es gab nur ein Problem: Er führte den falschen Auftrag aus. Die Leser brauchten kein wöchentliches Print-Magazin in Lead-Award-Qualität; sie wollten einfach nur prägnant über ihre Branche informiert werden. Darum sank die Auflage weiter. Die spätere Kurskorrektur in Richtung Digitalisierung hat Matthias nicht mehr erlebt; er verließ W&V 2016 und unser Kontakt brach ab.

Jetzt ist Matthias Oden wieder da. Er will nicht nur das defizitäre Online-Portal Meedia retten, sondern auch noch ein gedrucktes Wochenmagazin auf den Markt bringen. Das wirkt wie ein Polo-Turnier auf der Autobahn und hat mich so neugierig gemacht, dass ich ihn um ein Interview gebeten habe. Hier ist das Ergebnis.

Matthias Oden ist Mr. Meedia. Foto: Sarah El-Wassimy

Matthias, du hast dich vor über 3 Jahren aus der Chefredaktion von W&V verabschiedet und bist jetzt als Chef von Meedia wieder zurück in der Fachmedien-Szene. Was hast du in der Zwischenzeit gemacht?

Ich war ein halbes Jahr reisen, danach habe ich bei C3 gearbeitet, also Content Marketing gemacht und Kommunikationsberatung. Ich habe außerdem geheiratet, bin Vater geworden und habe zwei Romane veröffentlicht; der dritte erscheint diesen Herbst.

Was hast du in dieser Zeit gelernt?

Zeitmanagement? Im Ernst: Es war extrem lehrreich, einmal die Perspektive zu tauschen: Als Journalist bekommt man ja nur selten die Gelegenheit, das zu tun, worüber man schreibt. Einmal selbst im Marketing zu arbeiten und direkt mitzubekommen, wie Agenturen und Werbungtreibende ticken, war daher Gold wert. Und wenn du mich nach Unterschieden fragst: Medien sind im Marketing Mittel zum Zweck, während sie im Journalismus immer noch allzu oft Selbstzweck sind. Außerdem arbeitet man nutzerorientierter und ist viel KPI-getriebener unterwegs als so manches Medienhaus. Als Journalist saß ich einmal mit zwei Kollegen vier Stunden an einer einzigen Zeile — diesen Luxus hast du im Marketing nicht: Kreativität wird immer sofort gegen Zeit und damit Geld gegengerechnet. Das ist nicht immer angenehm, aber es zwingt zu Effizienz.

Peter Turi schreibt, dass ihr ein wöchentliches Print-Magazin plant. Dann würdest du 2020 da anfangen, wo du 2016 aufgehört hast. Warum? Die Print-Auflagen der Konkurrenz gehen seit vielen Jahr nur noch abwärts.

Peter Turi schreibt, was er in unserem Jahrbuch gelesen hat. Die Frage aber ist doch viel eher: Warum denn nicht? Dass wir im Jahr 2020 ein gedrucktes Wochenmagazin auf den Markt bringen, ist ohne Frage ambitioniert. Und genau darauf kommt es an: Wir haben in der Vergangenheit doch eher zu wenig Ambition als zu viel gesehen. Wenn man in Print so schnell drehende Branchen begleiten möchte wie die, die wir begleiten werden, dann geht das nur im Wochentakt. Das ist anstrengend und aufwändig, ermöglicht aber, nah dran zu bleiben. Das ist unser Ziel. Und was uns der Markt bislang spiegelt, ist: Es gibt Platz und Bedarf für einen zweiten Wochentitel.

Nach welchen Kriterien stellst du dein Team zusammen?

Glücklicherweise musste ich ja nicht bei Null anfangen: Meedia hatte auch vorher schon ein hervorragendes Team, das musste nur vergrößert werden. Wichtig war mir dabei, den richtigen Mix aus seniorigen und juniorigen Redakteuren zu bekommen. Wir brauchen Erfahrung, aber wir brauchen auch junge Leute, die eben noch keine x Jahre Branchenerfahrung besitzen, die Dinge ganz anders angehen und sich unbedingt beweisen wollen. Und ich würde sagen: Unsere Mannschaft bildet beides ganz gut ab.

Wer finanziert das?

Auf Dauer muss Meedia vom Markt getragen werden, also von Anzeigenkunden und den Lesern. Anders geht es nicht, wir sind kein philanthropisches Projekt. Die derzeitigen Investitionen werden von drei Banken finanziert, die haben uns gut ausgestattet. In dieser Hinsicht haben wir keinen Druck: Wir wollen erst einmal wachsen. Und wir haben mit Timo Busch einen Verleger im Hintergrund, der ein unternehmerisches Big Picture im Kopf hat; das ist niemand, der schnell abcashen will. Die Investitionen in Meedia sind Langfristinvestitionen.

Marketing, Agenturen, Medien: Der Gemischtwarenladen einer imaginären „Kommunikationsbranche“ ist schon den klassischen Fachmedien nicht gut bekommen. Eigentlich geht der Trend eher zu Nische und Nutzwert. Warum stellt sich Meedia trotzdem breiter auf als jemals zuvor?

Ich gebe dir recht: „die Kommunikationsbranche“ gibt es nicht. Der Begriff ist ein Hilfskonstrukt, das viele, teils sehr unterschiedliche, Branchen abdecken will — eben weil sie am Ende doch irgendwie zusammenhängen. Aber auf uns bezogen: Wir werden bei Meedia mit mehr Leuten mehr Branchen covern als zuvor und damit auch mehr Output haben als früher. Wir dünnen also unsere Kräfte nicht aus, im Gegenteil. Bei uns wird es zwei große Ressorts geben, Marken und Medien, und in beiden werden wir in die Tiefe gehen. Eine breite Aufstellung und Nutzwert schließen sich nicht aus.

Bei einem User-Experience-Projekt habe ich im vergangenen Jahr einen ziemlich guten Satz gehört: „Vergesst das ganze Innovationsgequatsche und konzentriert euch darauf, was eure User für Probleme haben könnten“. Welche Probleme löst Meedia für seine Leser?

Wir bieten Kontext in einem Umfeld, das heute mehr denn je welchen braucht. Das heißt also: Analysen, Daten, Hintergründe. Und wir gehen operativ nah ran: Die Kluft zwischen dem, was technisch machbar ist, und dem, was wirklich umgesetzt wird, ist größer als jemals zuvor. Wir wollen die Macher vorstellen, die in dieser Situation tatsächlich etwas auf die Beine stellen — und zeigen, was man sich von ihnen abgucken kann.

Vielen Dank und viel Glück, Matthias.

Disclaimer: Der Meedia-Konkurrent W&V gehört zu meinen Kunden. 

„Lagerdenken“: Eine Kolumne auf Schmalbart.de

Ben Krischke schreibt mit mir seit einigen Monaten die Kolumne „Lagerdenken“ auf Schmalbart.de. Das Format wird dort so beschrieben:

Ben Krischke und Frank Zimmer sind sich selten einig. Krischke publizierte unter anderem bei die “Achse des Guten“ von Henryk M Broder und Dirk Maxeiner, Zimmer ist in der Debatte um Gerald Hensels “Kein Geld für Rechts“ u. a. mit der Achse aneinandergeraten. Krischke sieht sich als moderner Konservativer und Vollblutdemokrat, Zimmer als linksliberaler Verfassungspatriot. Auf Schmalbart streiten sich beide Münchner Journalisten künftig im Wechsel über Politik, Medien und Lagerdenken.

6 Folgen sind bisher erschienen. Zwischendurch haben wir diesen Dialog hier veröffentlicht:

„Was mich geärgert hat, wird Dir gefallen“

(zuerst erschienen am 9. April 2017 auf schmalbart.de)

Ben: Als Journalist ist man ja immer auch ein bisschen Psychologe. Man sieht sich die Symptome an, schaut, was die Menschen bewegt und warum. Wie lautet denn deine politische Gesellschafts-Diagnose aktuell?

Frank: Vielleicht ist es Wunschdenken, aber momentan sehe ich eine leichte Entspannung. Die Wut- und Hasswelle ist noch lange nicht weg, aber sie wirkt nicht mehr ganz so gewaltig wie vor einem halben Jahr. Vielleicht redet man wieder mehr miteinander. Oder versucht zumindest, zuzuhören. Tun wir beide ja auch. Aber das kann morgen vorbei sein. Nach einem großen Anschlag zum Beispiel.

Ben: Ich glaube vor allem, dass es daran liegt, dass sich auch Parteien wie die Grünen zum Beispiel mittlerweile trauen, Probleme bei der Integration anzusprechen. Man hört sogar von dieser Seite Statements, die von der selben Seite vor einem Jahr noch mit der Rassismus-Keule bekämpft worden wären.

Frank: Wie siehst Du hier die sogenannten Mainstream-Medien?

Ben: Ich habe Anfang des Jahres wieder angefangen, regelmäßig Spiegel Online zu lesen. Das habe ich schnell bereut. In der Regel lese ich die NZZ Online ganz gerne. Was Talkshows betrifft, bin ich mittlerweile ein großer Fan vom „Talk im Hangar 7“ auf ServusTV. Die laden auch Gäste ein, die bei uns undenkbar wären. Martin Sellner von der Identitären Bewegung zum Beispiel.

Frank: Man muss nicht jedem eine Plattform bieten. Aber weißt Du, was mich neulich geärgert hat? Das wird Dir gefallen.

Ben: Bitte.

Frank: Warum saß am Abend der Saarland-Wahl keiner von der AfD bei Anne Will? Hab ich nicht verstanden. Finde ich auch unklug, weil es Wasser auf die Mühlen der AfD ist.

Ben: Ich finde „Wasser auf die Mühlen“ immer eine schwierige Formulierung. Aber ja, das ist durchaus bemerkenswert. Ich glaube, dass es genauso falsch ist, eine Partei aufzublasen wie sie einfach außen vor zu lassen. Das erinnert mich an das Kinderspiel, bei dem man beide Augen zudrückt und dann so tut als sei man gar nicht da. Oder in dem Fall: Als seien die anderen gar nicht da.

Frank: Wie stehst Du eigentlich persönlich zur AfD? Du hast mal Höcke interviewt, glaube ich. Was ist das für ein Typ?

Ben: Tatsächlich war das ein sehr nettes, kluges Gespräch. Natürlich kamen da auch Formulierungen vor, die beim ersten Mal hören, etwas befremdlich klingen. „Preußische Tugenden“ zum Beispiel. Ohne jetzt eine Lanze für Höcke zu brechen, aber ich glaube schon, dass man als Politiker non grata dazu neigen kann, dass plötzlich Angriff die beste Verteidigung scheint, sich dadurch in manchen Ansichten auch unnötig radikalisiert. Sehr umstrittene Politiker gab es bei den Grünen zu Beginn aber auch. Ich glaube, alles entscheidet sich daran, ob die AfD auf Dauer zur bürgerlichen Partei wird, oder zum Sammelbecken von irgendwas. Hätte da auch noch eine Frage an dich.

Frank: Bitte.

Ben: Neulich habe ich einen Online-Test zu meinen „politischen Koordinaten“ gemacht. Da kam raus: links kommunitaristisch. Das hat mich schon sehr überrascht. Bist Du dir denn sicher, dass du ein Linksliberaler bist?

Frank: Nein. Wahrscheinlich bin ich der eigentliche Konservative, weil ich das System der Bundesrepublik für das beste halte, was Deutschland in 1000 Jahren untergekommen ist. Das will ich konservieren, insofern bin ich ein Konservativer.

Ben: Ein Dilemma, oder? Wir Menschen sind ja gerne konkret irgendwas von irgendwas.

Frank: Die Begriffe gehen tatsächlich durcheinander. Ich weiß auch nie so richtig, wie ich „Euch“ nennen soll. Über den jungen Bismarck hat mal einer geschrieben: „roter Reaktionär“. Rote Reaktionäre würde auch auf viele Rechtspopulisten passen. Es ist aber kein Bismarck unter ihnen.

Ben: Wie sind denn deine bisherigen Erfahrungen mit unserer Dialog-Kolumne?

Frank: Zustimmung in der Filterblase. Wie ist es bei Dir? Was sagt die Achse des Guten?

Ben: Zustimmung in der Filterblase ebenfalls. Insgesamt war die Erfahrung meinerseits aber auch mit „Euch“ ganz positiv. Ein paar schräge Typen sind aber auch bei Euch dabei. Letztens kommentierte jemand, dass ich lieber weiterhin für die „neoliberale Achse der Blöden“ schreiben soll. Noch so ein Dilemma: Selbst beleidigen ist leider viel zu oft viel zu unkreativ. „Achse der Gurken“ zum Beispiel. Das wäre eine kreative Beleidigung gewesen.

Tichys Welt und Zimmers Beitrag

Alexander Wallasch hat mich für vorletzte Woche für „Tichys Einblick“ interviewt. Anlass war der Artikel   „So funktioniert Hate-Economy“ auf W&V Online. Wallasch wählte einen betont ruppigen Stil, der ein bisschen ins Trollige ging. Für mich war es die Chance, Leser außerhalb der eigenen Facebook-Filterblase zu erreichen. Der Originaltext inklusive Vorspann erschien unter dem Titel „In zehn Schritten zur Verschwörung – eine Anleitung aus dem Hause W&V“ hier. Und das waren die Fragen und Antworten:

Alexander Wallasch: Meine Gesprächsanfrage beantworteten Sie mit dem Satz: „Ich bin immer an konstruktivem Dialog interessiert.“ Ihr Artikel spricht da allerdings eine ganz andere, eine konfrontative, eine lupenrein Dialog-ferne Sprache. Lösen Sie mir diesen Dissens kurz auf?

Frank Zimmer: Beziehen Sie diesen Artikel wirklich auf sich? In meinen 10 Punkten habe ich bewusst keine Medienmarke genannt. Ich glaube nämlich, dass die dort beschriebene Zeit der gnadenlosen Demagogie-Plattformen erst noch kommt. Ob Tichys Einblick dahin will, weiß ich nicht. Ihr Angebot zum Dialog ist jedenfalls das richtige Signal. Wir reden alle viel zu oft übereinander statt miteinander.

AW: Ach ne, das ist mir zu schlaudeutsch. Sie machen jetzt einen Rückzieher. Denn schließlich moderieren Sie Ihren Artikel sogar mit Namensnennung an. Und erklären dann gleich zu Beginn: Rechtspopulisten und Neurechte geben sich gerne einen Anstrich: „liberal-bürgerlich-konservativ-kritisch-unabhängig“. Was glauben Sie, wie viel Prozent Ihrer Leser angesichts Ihres Veröffentlichungszeitpunkt an Tichys Einblicke denken? Und denken sollten?

FZ: Ich versuche es mit Fakten: Der Text beginnt mit Stichworten zu aktuellen Debatten, darunter auch „Hensel“ und „Xing“. Und was die Veröffentlichung angeht: Teile dieses Textes sind erschienen, ehe die Debatte um Herrn Tichy überhaupt losging. In einem Kommentar über Hate-Economy, der im Dezember in der Print-Ausgabe von W&V veröffentlicht wurde.

AW: Und wie könnte so ein Dialog über dieses Interview hinausgehend aussehen in Zukunft? Was schlagen Sie vor?

FZ: Mein persönlicher Dialog-Plan für 2017 ist, Bier trinken mit meinem Kollegen Ben Krischke. Er schreibt für W&V und für die Achse des Guten, wir sind fast nie einer Meinung, aber wir können miteinander diskutieren und denken sogar über ein gemeinsames Blog-Format nach.

AW: Welche zwei, drei Artikel bei Tichys Einblick haben Ihnen bisher am besten gefallen und warum?

FZ: Roland Tichys Artikel „Steinmeier oder Schulz“ vom 18. November 2016 finde ich z.B. interessant und gut geschrieben. Tichys Einblick hat sowieso eine Menge namhafter Autoren, das ist nicht der Punkt.

AW: Na, was ist denn dann „der Punkt“, wenn Tichys Einblick überhaupt nicht gemeint ist? Worüber reden wird dann eigentlich. Sie erwähnen, Roland Tichy und andere hätten bei den „Mainstream-Medien“ mal eine wichtige Rolle gespielt. Glauben Sie von sich selbst, eine solche aktuell zu spielen? Wenn nicht, wäre das Ihr Wunsch?

FZ: Sie setzen jetzt voraus, dass ich Herrn Tichy gemeint habe, obwohl das auch auf Herrn Broder, Herrn Maxeiner, Herrn Müller-Vogg oder andere namentlich noch nicht bekannte Journalisten zutreffen würde, die jetzt vielleicht schon ihr rechtspopulistisches Medien-Startup planen, ohne dass wir es wissen. Aber wenn Sie auf meine eigene Position im Medienbetrieb hinauswollen: Ich bin Fachjournalist und damit im Vergleich zu Tichy oder Broder maximal Zweite Liga. Das ist doch klar. Umso mehr wundere ich mich ja, dass gerade diese bekannten Journalisten sich von den großen Medienmarken abgrenzen. Im Dezember bekam ich eine Mail von einem Leser, der sich selbst als „Dunkeldeutschen“ beschrieb und mir sinngemäß vorwarf, ich sei Teil der Medienelite, die einen Außenseiter wie Broder vernichten wollte. Das fand ich bizarr. Ich schreibe doch für die kleine W&V und nicht für die „Welt“, wie Broder.

AW: Also nun entscheiden Sie sich mal, wen Sie meinten mit Ihrer 10-Punkte-Verschwörungstheorie. Und was Tichys Einblick angeht – zunächst einmal sehe ich hier eine Abgrenzung in der wachsenden Leserschaft, damit können, was Sie die „Mainstream-Medien“ nennen, nicht dienen. Im Gegenteil. Das weckt natürlich Begehrlichkeiten. Dass es diese Blätter allerdings so schmerzt, hat sogar uns überrascht.

FZ: Hab ich oben schon zu erklären versucht. Aber gerne nochmal: Ich meine Plattformen, die aus Hass, Hetze und der Spaltung der Gesellschaft Kapital schlagen wollen. Ob Sie diesen Weg gehen wollen, weiß ich nicht. Ich kenne Ihre Strategie nicht und habe Sie darum auch nicht erwähnt.

AW: Womit haben Sie denn ihre „Werbekunden verschreckt“? WUV verliert ja seit Jahren kontinuierlich – phasenweise dramatisch – Leser, während Tichys Einblick zulegt und zuletzt von bis zu doppelt so vielen Menschen gelesen wurde. Und schon ein wenig pikant in so einer Situation eine Verschwörungstheorie zu platzieren, oder?

FZ: Wollen wir über Auflage oder Werbeumsatz, Print oder Online reden? Das sind ja unterschiedliche Dinge. Die Print-Auflage ist natürlich gesunken, da geht’s uns wie fast allen Print-Magazinen seit 2000. Herr Tichy hat das bei der „Wiwo“ ja auch erlebt, glaube ich. Über unseren Werbeumsatz können wir jedenfalls nicht klagen. Wobei wir uns als Fachmedium natürlich in einer besseren Situation befinden, weil wir nicht von Google-Anzeigen oder Restplatzvermarktung abhängen, sondern z.B. auch über Lead Generierung und Sponsoring arbeiten können. Wer wie TE oder die Achse des Guten im Werbegeschäft rein auf Reichweite setzen muss, fährt meiner Meinung nach besser mit Abo- oder Patenschaftsmodellen. Darum bin ich mir auch nicht sicher, ob z.B. die Aktion von Gerald Hensel wirklich so existenzbedrohend war, wie von der Achse des Guten behauptet. Die verfolgen ja schon länger ihr Patenschaftsmodell, und genau dieses Geschäftsfeld profitiert natürlich von dem, was im Branchensprech „Eine Marke emotional aufladen“ heißt.

AW: „Je schriller Sie polarisieren, desto stärker die Aufregung, desto effektiver die Mobilisierung, desto höher die Reichweite“ – klingt wie ein Lernsatz aus der Werbebranche, oder? Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Wie machen Sie es denn bei WUV? Was empfehlen Sie den Mitbewerbern?

FZ: Wie gesagt, W&V ist ein Fachmedium und darum sicher kein Mitbewerber für TE, die Achse oder andere politische Titel. Aber natürlich müssen auch wir uns hier den Regeln des Online-Journalismus unterwerfen und auf möglichst große Resonanz im Lesermarkt achten. Aber es gibt immer Grenzen, wie z.B. die persönliche Herabwürdigung. Diese Grenzen sind z.B. im Fall Gerald Hensel überschritten worden. Von Herrn Broder und meiner Meinung nach auch von TE. Ich meine Ihren Artikel nach Hensels „Stern“-Interview. Da lag er doch schon am Boden.

AW: Sie politisieren doch Ihr Fachmedium. Das ist doch eine Ihrer Kernaussagen. Und im Fall Hensel verwechseln Sie natürlich Aktion und Reaktion. Aber immerhin sind wir einig, dass Sie ihn am Boden gut positioniert fanden. 

FZ: Sie meinen ein Fachmedium für Marketing sollte nicht über Politisierung von Marken schreiben? Verstehe ich nicht.

AW: Der Einfluss politisch-gesellschaftlicher Veränderungen auf die öffentliche Meinungsbildung spielt bei Ihrer Gegenwartsbetrachtung eine deutlich untergeordnete Rolle, alles ist Ihnen irgendwie im düsteren Hinterzimmer zusammengeraunt – oder böser: bei Breitbart hinterm großen Wasser abgeschaut. Wie kommt’s?

FZ: Ich glaube nicht an das Hinterzimmer und auch nicht an die große Verschwörung. Das Internet bietet einfach die Möglichkeit, schnell und mit relativ geringen Mitteln, eine neue Medienmarke aufzubauen. Klar, dass viele diese Chance ergreifen.

AW: Wir drehen uns im Kreis Herr Zimmer. Sie schrieben das Drehbuch einer von Ihnen angenommenen Verschwörung. Zur Erinnerung: Darüber sprechen wir gerade. 

FZ: Was soll das für eine Verschwörung sein? Ich skizziere eine mögliche Geschäftsstrategie, die man sogar alleine durchziehen könnte. Wäre das dann eine Ein-Mann-Verschwörung?

AW: Kursiv unter Ihrem Text: „Disclaimer: Der Autor unterstützt das von Christoph Kappes angestoßene Projekt Schmalbart, das sich für faire Debatten- und Medienkultur im Netz einsetzt.“ Was genau tun Sie da?

FZ: Ich zahle jeden Monat 5 Euro. Also auch eine Art Patenschaftsmodell, wenn Sie so wollen. Vielleicht schreibe ich irgendwann auch mal dafür. Mich interessieren diese Themen einfach, ich habe mal Geschichte studiert.

AW: Jetzt müssen Sie selber lachen, oder? Ich verspreche Ihnen: Mein nächster Artikel bekommt folgenden Disclaimer: „Der Autor kauft jedes Weihnachten für 4,99 Euro 12 UNICEF-Postkarten. Eine Aktion, die sich weltweit für Kinder in Not einsetzt.“

FZ: Sie können unter Ihre Artikel meinetwegen auch „Danke, Merkel!“ schreiben, Herr Wallasch. Wir sind ein freies Land.

AW: In der Branche galt vielen – mal von der Regelausnahme abgesehen – jahrzehntelang das unausgesprochne Gesetz: Keine Farbigen abbilden, keine Schwulen, kein Jesus und vor allem: keine Politik. Wollen Sie die Hure nun ins Kloster zwingen oder geht sie freiwillig?

FZ: Ich bin evangelisch und hab’s nicht so mit Klöstern. Die politische Debatte gehört mitten rein in unsere Gesellschaft. Man muss ja nicht gerade gehässig werden, intolerant diskutieren und persönlich werden.

AW: Warum gehen Attacken auf Medien-Startups so oft von Werbeleuten mit Regierungs-Kontakt aus?

FZ: Über den Begriff „Attacke“ kann man streiten und 2 Initiativen sind auch nicht unbedingt „oft“. Aber ich vermute, dass Agenturen mit Politik-Kunden überdurchschnittlich viele politisch gebildete und politisch engagierte Mitarbeiter haben. So wie eine BMW-Agentur überdurchschnittlich viele Mitarbeiter hat, die sich für Autos interessieren.

AW: Wie finden Sie es, wenn Werber zum Boykott aufrufen gegen Kunden anderer Agenturen?

FZ: Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Das gilt für einen Artikel von Herrn Tichy oder Herrn Broder ebenso wie für die öffentliche Äußerung eines Privatmanns, diese oder jene Marke nicht mehr zu konsumieren, weil ihm irgendetwas daran nicht gefällt. Was nicht geht, sind strafrechtlich oder wettbewerbsrechtlich relevante Äußerungen. Ob diese oder jene Äußerung immer klug ist, muss jeder für sich entscheiden.

AW: Ach, das ist jetzt schade, ich dachte, wir wären über diesen Punkt hinaus, anzunehmen, z.B. der Schweinerei eines Herrn Hensel hätte irgendwer hinterhergekräht, wenn er NICHT bei Scholz & Friends tätig gewesen wäre.

FZ: Mercedes hat gerade erklärt, sich von „Plattformen mit … politisch polarisierenden Inhalten“ zu distanzieren und will z.B. nicht auf Breitbart werben. Ist das auch eine Schweinerei?

AW: Was halten Sie davon, dass Anwürfe wie „Hass“ und „Populismus“ zunehmen die politische Debatte in eine Schlammschlacht verwandeln? Was könnte die Werbebranche tun, um eine Versachlichung zu fördern?

FZ: Schwierige Frage. Sie sehen es wahrscheinlich anders, aber ich finde, dass die „Schlammschlacht“ eher von rechts kommt. Wobei ich glaube, dass das so genannte linksliberale Milieu (dem ich mich persönlich zugehörig fühle) gelegentlich abgehoben wirkt und mit der Wucht der Debatte manchmal überfordert ist. Es hilft nichts, sich über Leute mit Rechtschreibproblemen lustig zu machen.

AW: Also eben sprechen wir nicht darüber, dass Sie sich über Rechtschreibprobleme lustig gemacht hätten. Wir sprechen darüber, das wir einen Dialog finden müssen, wo Sie einen Artikel liefern, der das direkte Gegenteil davon war. Aber gut, wir haben ja dennoch zusammengefunden. Sie sind per „Du“ mit Herrn Hensel. Wie weit geht sonst Ihre Zusammenarbeit.

FZ: Gerald Hensel hat mir das „Du“ angeboten, nachdem ich seinen zu emotionalen Ton gegenüber Achse-Lesern kritisiert hatte. Ich habe ihn von Anfang als jemanden mit klarer Meinung kennengelernt, der aber immer mit sich reden lässt und Einwände akzeptiert, wenn nicht wünscht. Wir haben uns per E-Mail kennengelernt, als er uns im November sein Artikel über Politisierung von Marken angeboten hatte. Ich hab ihm in einigen Punkten widersprochen (und mit ihm darüber diskutiert), fand aber seine Meinung respektabel. Seitdem haben wir zwei Mal telefoniert, zuletzt wegen eines möglichen Interviews. Mir ist klar, dass aufgrund des „Du“ der Verdacht nahe liegt, ich hätte keine Distanz zu ihm. Man muss aber wissen, dass Fachmedien sich intensiver mit Ihren Lesern und Gastautoren austauschen, als es bei der Publikumspresse der Fall ist. Das „Du“ ist innerhalb der Branche nicht ungewöhnlich.

AW: Danke IHNEN für das Interview.

Content Marketing: Einmal mit Profis arbeiten

Bloggerin von oben: Jessica Schobers Hubschrauberflug gibt es auf Youtube zu sehen. Screenshot: Youtube.

Bloggerin von oben: Jessica Schobers Hubschrauberflug gibt es auf Youtube zu sehen. Screenshot: Youtube.

Die Idee war großartig, das Konzept gut formuliert, und bei der Umsetzung wollten der Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“ und die Vertreter der Landesregierung von Rheinland-Pfalz auf Nummer sicher gehen.  „Einmal mit Profis arbeiten“, werden sich Christian Lindner (Rhein-Zeitung), Rainer Zeimentz (Innenministerium) und Thomas Metz (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz) gedacht haben, als sie aus Hunderten von Bewerbern eine professionelle Journalistin auswählten.

So kam Jessica Schober aus München zu einem Job als Burgenblogger in einer der bekanntesten Landschaften Deutschlands,  dem Welterbe Oberes Mittelrheintal rund um die Loreley. Die Casting-Gewinnerin war perfekt ausgebildet (Deutsche Journalistenschule), interessierte sich leidenschaftlich für Lokaljournalismus, hatte ein eigenes, viel beachtetes Blogprojekt namens Wortwalz gestemmt und überzeugte durch eine mitreißende Bewerbung auf Tumblr.

Sechs Monate sollte sie auf einer Burg hoch über dem Rhein leben und frei und ungezwungen über die Region und ihre Menschen schreiben. Eigene Projekte und Aufträge Dritter waren weiterhin möglich, es gab ausdrücklich keine Exklusivvereinbarung. Neben der Unterkunft auf Burg Sooneck bekam sie 2000 Euro monatlich, einen Dienstwagen und ein Handy.

Am Mittwoch hat die Burgenbloggerin das Projekt nach weniger als vier Monaten abgebrochen. In einem letzten Artikel erklärt sie:

Als Burgenbloggerin war ich angetreten, um eine neue Art des Lokaljournalismus auszuprobieren. Dabei habe ich gemerkt: Wer über Menschen berichten will, sollte unter Menschen leben. Mitten im Mittelrheintal. Nicht 300 Höhenmeter über ihnen im Wald, in Abgeschiedenheit. Das ist nicht die Art von Lokaljournalismus, für die ich stehe. Deshalb bin ich aus Burg Sooneck ausgezogen und habe das Projekt für mich beendet.

Kommentare zu ihrem Abschiedstext sind nicht zugelassen. Auf Twitter heißt es

Jessica Schober wird hier keine Fragen beantworten.

Über die Gründe von Jessicas Schobers Abschied und ihre zuletzt immer spärlichere Präsenz im Netz und im echten Mittelrheinleben ist schon alles gesagt worden. Blicken wir also nach vorn, denn im kommenden Jahr soll das Projekt neu aufgelegt werden. Reden wir darüber, was man aus der jetzt beendeten Aktion lernen kann und was 2016 besser gemacht werden muss. Denn es wird nicht genügen, das bisherige Konzept aus der Büroschublade zu ziehen und zu hoffen, dass es diesmal über volle sechs Monate hinweg gut geht.

Leider klingt die offizielle Stellungnahme der Projektpartner eher nach „Weiter so“ und „Wir haben alles richtig gemacht“, als nach Selbstkritik und Weiterentwicklung:

Weil schon die Pionierphase mit der ersten Burgenbloggerin so spannend, so fruchtbar und so erfolgreich war, haben wir als Träger des Projektes gemeinsam mit Jessica Schober beschlossen: Der Burgenblog wird weiterleben. Wir sagen gerne und mit Freude: Auch 2016 wird es einen Burgenblogger oder eine Burgenbloggerin geben. Wieder soll er oder sie von Mai bis Oktober als digitaler Reporter im Tal unterwegs sein. Und wieder soll er oder sie  über die Reize und Pracht des Mittelrheintales ebenso berichten wie über seine Wunden und Schrunden. Unvoreingenommen, ungebunden und unzensiert.

Lieber Geldgeber und Partner des Burgenblogger-Projekts, ich hätte da ein paar Vorschläge.

1. Werdet euch darüber einig, was ihr wollt: Eine Bloggerin oder eine Journalistin.

Eigentlich bin ich kein Freund der Blogger- oder Journalisten-Schubladen. Im Fall der  Burgenbloggerin ist der Unterschied aber wichtig, weil Jessica Schober je nach Opportunität damit hantiert hat. Wenn ihr danach war, schrieb sie so subjektiv, recherchefrei und selbstreferenziell wie Bloggerinnen das tun dürfen. Aber sobald sie dafür kritisiert wurde und ihre Leser den Dialog suchten, zog sie sich auf den Standpunkt der distanzierten Journalistin zurück, die niemandem Rechenschaft ablegt. Besonders gut war das rund um ihren Artikel „Gegen Heimweh hilft nur Fernweh“ zu beobachten. Einem Text übrigens, der „RZ“-Chefredakteur Christian Lindner wahrscheinlich keinem seiner Lokalredakteure durchgehen lassen würde, journalistische Unabhängigkeit hin, freies Bloggerleben her.

Beim nächsten Bewohner von Burg Sooneck sollte von Anfang an klar sein: Wenn er Blogger sein will, muss er sich im Netz auch wie ein Blogger verhalten und mit seinen Lesern kommunizieren.  Wenn er stattdessen lieber Journalismus alter Schule bevorzugt: Auch okay. Aber dann möge er sich in seinen Artikeln zurücknehmen und uns seine persönlichen Befindlichkeiten ersparen. Entweder, oder.

2.  Die Burgenbloggerin ist eine Dienstleisterin. Und ihr müsst sie führen.

Juristisch gesehen ist die Burgenbloggerin nichts anderes als der Dachdecker, der neue Schieferplatten auf Burg Sooneck verlegt. Wenn die staatliche Burgen- und Schlösserverwaltung Rheinland-Pfalz ihre Handwerker so führen würde wie ihre Blogger, wäre die Sooneck mit billigen Obi-Dachpfannen zum Preis von portugiesischem Naturschiefer eingedeckt. Jessica Schober hat schon vor ihrem Weggang gerade das Nötigste für das Blog getan und zuletzt nur noch Texte mit minimalem Recherche-Aufwand geliefert. Ihre letzter regulärer Artikel erschien am 8. August. Es ging dort um einen regionalen Mäzen, eigentlich ein wunderbarer Stoff für ein Porträt. Heraus kam ein Protokoll mit Aussagen zum Mittelrhein. Journalisten lieben dieses Format, wenn es schnell gehen muss. Man hört sich etwas an, fasst es zusammen, legt es noch einmal zur Abstimmung vor und veröffentlicht es. Fertig. Aufwand: Maximal ein Arbeitstag.

Wie geht man als Auftraggeber damit um, dass der Blogger weniger liefert als versprochen? Wie reagiert man, was sagt man ihm, welche Konsequenzen zieht man zu welchem Zeitpunkt? Oder reicht es, wenn der Burgenblogger furios startet, eine Debatte im Mainzer Landtag verursacht und eine ziemlich lebhafte Facebook-Gruppe initiiert?

Das müssten die Projektpartner klären. Untereinander, im Gespräch mit den nächsten Kandidaten und vor allem gegenüber den Menschen am Mittelrhein, die einfach nur auf gute Blog-Texte warten.

3. Ihr braucht das PR-Gedöns nicht mehr.

Das öffentliche Casting und die Medienpartnerschaft mit der „Rhein-Zeitung“ waren wichtig, um das Projekt bekannt zu machen. 2014. Braucht ihr das jetzt immer noch? Ich glaube nicht. Ein weiteres Casting kostet Zeit und bringt wenig. Es fördert Selbstdarsteller und lenkt von den wirklich wichtigen Dingen ab. Ihr habt im vergangenen Jahr ein ziemlich gutes Anforderungsprofil formuliert

Wir suchen einen Menschen, der sich nicht über das Mittelrheintal erhebt, sondern sich auf diese Gegend einlässt – realistisch, aber auch mit einem Faible für die Thematik und einer Grundsympathie für die Mittelrheiner, die in dieser ebenso schönen wie strapazierten Region beheimatet sind.

Wenn ihr das noch weiter verfeinert, werdet ihr genau wissen, was und wen ihr wollt. Dann könnt ihr gezielt Blogger ansprechen und müsst euch nicht durch Hunderte von Bewerbungen wühlen.

Überlegt euch auch, ob die Medienpartnerschaft zwischen Land und „Rhein-Zeitung“ überhaupt noch sein muss. Wozu braucht man sie? Um das Projekt überregional bekannt zu machen? Dafür ist eine regionale Tageszeitung mit rigoroser Paywall sicher nicht der beste Partner. Um in der Region selbst zu werben? Auch das kann die „Rhein-Zeitung“ nur unvollständig leisten, denn in wesentlichen Teilen der Region ist die Zeitung überhaupt nicht präsent. Man liest dort die „Allgemeine Zeitung“ und ihre Rheingauer Schwestertitel, also Medien der konkurrierenden Verlagsgruppe Rhein-Main. Das Burgenblogger-Projekt muss jetzt auf eigene  Füßen stehen, es braucht kein Zeitungshaus als Nanny.

Abgesehen davon:  Eine „Medienpartnerschaft“ zwischen Staat und Presse ist ein Unding.

4. Nehmt die Burg nicht so wichtig!

Musste Jessica Schober eigentlich durchgehend auf der Burg wohnen? Ich hoffe, nicht. Klar, die Sooneck gehörte am Anfang zum Storytelling, aber kein freier Mensch wird sich zwingen lassen, ein halbes Jahr lang nur dort und nicht anders zu leben. Die Burgwohnung kann immer nur ein Angebot sein,  nie eine Pflicht. Orientiert euch am Beispiel der klassischen Stadtschreiber. Auch von denen erwartet niemand, dass sie kontinuierlich in Türmen oder über Museen hausen. Lasst den oder die Burgenbloggerin an die frische Luft. Es genügt, wenn sie sich oft auf der Sooneck aufhält, nicht ausschließlich.

Und gebt der Bloggerin um Himmels Willen ein unauffälligeres Auto.

Disclaimer: Ich bin der Region privat verbunden und einer der Admins der von Jessica Schober initiierten Facebook-Gruppe „Du kommst vom Mittelrhein, wenn….“

Wiedervorlage für 2020

t3n-fz„8 Fragen zur Zukunft des Journalismus“ heißt eine Interview-Serie, die auf dem Blog der Kölner Agentur OSK und beim Online-Dienst t3n.de erscheint. Am Montag dieser Woche war ich an der Reihe.

Eigentlich kann ich mit der „Zukunft-des-Journalismus“-Debatte wenig anfangen, weil sie sich fast immer nur im Kreis dreht. Wahrscheinlich ist auch mein eigener Beitrag dazu wenig originell, aber ehe man bei einem vermeintlich ausdiskutierten Thema mit den Augen rollt (wozu ich leider vorschnell neige), sollte man sich über seine Position klar werden und sie formulieren. Der Journalist und Blogger Carsten Christian hat mich mit seinen „8 Fragen“ dazu gezwungen und bei Frage 6 freundlich aber unerbittlich nachgehakt.

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Ich kann mit der Worthülse Qualitätsjournalismus wenig anfangen. Eigentlich sagt noch nicht einmal der Begriff Journalismus besonders viel aus, denn das faktische Medienmonopol der 90er-Jahre-Journalisten ist dahin. Einem guten Text ist es egal, ob er von einem Journalisten, einem Blogger oder einem sonstigen Experten geschrieben wurde; ich mache da keinen Unterschied mehr. Es geht um Qualität, nicht um Journalismus oder Nicht-Journalismus.

Wenn Sie mit Qualitätsjournalismus klassische Medienmarken mit besonders hohem Anspruch an die Produktqualität meinen, ist die Antwort: Sie werden sich irgendwann dadurch auszeichnen, dass sie überlebt haben. Denn ich bin nicht sicher, ob das allen gelingen wird. Herausragende publizistische Qualität wird zwar immer gefragt sein, aber wer sie nicht effizient produziert und geschickt vermarktet, hat es sehr schwer.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Im Online-Journalismus gibt es nach wie vor einen starken Hang zur Boulevardisierung, jetzt zusätzlich befeuert durch Angebote wie Huffington Post , Buzzfeed oder Heftig.co . Das Niveau wird nicht besser. Ich bezweifle aber, ob der Werbemarkt das alles auf die Dauer finanzieren wird. Beim Zusammenspiel von Print und Online werden wir in den kommenden Jahren viele Modelle à la Spiegel erleben, also eine Koexistenz von kostenfreien Online-Artikeln und digitalisierten Print-Inhalten, für die man zahlen wird. Bei der eigentlichen journalistischen Arbeit verschieben sich die Schwerpunkte von der Produktion zur Kommunikation: Der Typus des Nachrichtenjägers verliert an Bedeutung, weil Nachrichten im Netz nichts mehr wert sind. Dafür wird der Typus Redaktionskommunikator wichtiger. Er tauscht sich intensiv mit Lesern und Multiplikatoren aus und verbreitet seine Artikel oder Videos in dem Raum, den wir heute Social Web nennen.

3. Wie und wo recherchierst du nach guten und spannenden Inhalten?

Auf Twitter und in meinem RSS-Feed. Facebook ist nicht mehr so wichtig, dafür aber immer noch die gute alte E-Mail. Was man oft unterschätzt: Gedruckte Zeitschriften und Zeitungen können eine Fundgrube sein. Leider bleibt für Print meistens zu wenig Zeit.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Dasselbe wie immer: Dinge schreiben, die interessieren. Und den Kontakt zum Leser suchen. Das Netz bietet dafür sehr gute Möglichkeiten.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Ich glaube nicht, dass Journalisten zwingend eine Programmiersprache beherrschen müssen. Ehrlich gesagt, geht mir die quasi religiöse Überhöhung des Digitalen manchmal auf die Nerven. Wir sollten neue Technologien ganz einfach als potenzielle Arbeitsmittel begreifen, mit ihrer Hilfe einen guten Job machen und uns ansonsten nicht so wichtig nehmen. Generationen vor uns haben auch schon technologische und damit verbundene gesellschaftliche Umwälzungen erlebt. Wir sollten nicht so tun, als wären wir die Ersten auf der Welt, die mit Fortschritt konfrontiert werden.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Vor allem mit Werbung, aber hoffentlich mit besserer und kreativerer als heute im Netz üblich. Paid Content wird nicht reichen. Nebengeschäfte von Medien und Verlagen werden zunehmend wichtiger. Das können eigene Veranstaltungsangebote wie Awards, Messen, Konferenzen oder Seminare sein – wie sie schon jetzt im Fachinformationsbereich vielfach üblich sind. Magazine werden künftig weitere Geschäftsfelder für sich entdecken, die zu ihren publizistischen Inhalten passen. Man muss sich ja nur am altbekannten Modell der Leserreise orientieren. All diese Veranstaltungen und Dienstleistungen werden sich hier und da zum Hauptgeschäft der Verlage entwickeln, und das bisherige journalistische Kernprodukt wird zur Kunden- oder Mitgliederzeitschrift der Leser-Community. Auch daran werden wir uns gewöhnen müssen.

Natürlich machen wir uns bei W&V auch unsere Gedanken. Es ist weder aktuell noch geplant, aber warum sollte beispielsweise eine Fachzeitschrift für Marketing und Werbung wie W&V nicht auch in der Lage sein, eine Crowdsourcing-Plattform für Kampagnen und Kreationen zu betreiben?  Ich meine damit einen digitalen Marktplatz für Ideen und Kreativleistungen. Es ist seit jeher das Geschäftsmodell der Medien, Leser und Werbekunden zusammenzubringen. Nirgendwo steht, dass das auf immer und ewig mit Anzeigen oder Spots funktionieren muss. Die Hauptsache ist, dass das Medium das tut, wofür schon sein Name steht: zu vermitteln. Solange das glaubwürdig und transparent abläuft, spielt die Plattform keine Rolle.

7. Wie sehen deiner Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Es gibt 2020 mehr sehr gute und mehr sehr schlechte, schrille Inhalte. Lauwarmes Mittelmaß ohne Empathie lesen wir seltener als heute. Was die Formate angeht, wird es etwas mehr Videos geben. Aber nicht, weil die Nutzer es wollen, sondern weil der Werbemarkt danach verlangt. Textjournalismus bleibt trotzdem das Rückgrat der Online-Medien – allein schon deshalb, weil er auf mobilen Geräten leichter konsumiert werden kann.

Ansonsten werden einige klassische Medienmarken verschwunden sein oder nur noch als entkernte oder kaputtsanierte Zombie-Marken weiterexistieren. Dafür gibt es eine Menge neuer Plattformen und professioneller Blogs. Wobei man den Unterschied zwischen einem reichweitenstarken und einer klassischen Medienmarke spätestens 2021 nicht mehr erklären kann. Vorher streiten Stefan Niggemeier und Thomas Knüwer aber noch über die einzig mögliche Rettung für die FAZ.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Ich fände so eine Art Verbrauchermagazin im Brand-eins-Stil interessant. Also ein Magazin, das die Glaubwürdigkeit von Marken thematisiert, ohne ihre Produkte bis zur dritten Nachkommastelle zu analysieren.

(Das Interview plus biografischem Vorspann erschien zuerst hier und hier.)

SPIEGEL-Leser klicken mehr

Neulich erzählte Sascha Lobo auf einem FAZ-Podium von seinen praktischen Problemen mit kostenpflichtigem Journalismus im Internet. Er habe es beispielsweise nicht geschafft, ein Digital-Produkt der Süddeutschen Zeitung zu kaufen, obwohl er sich ernsthaft darum bemüht habe und sich im Internet auch ganz gut auskenne (ab Minute 4 in diesem Video).

Sascha Lobos Kritik am verlegerischen Verständnis von Usability ging in der Runde ein bisschen unter, weil es offiziell um „20 Jahre Online-Journalismus“ ging, ein weites Feld also.

Tatsächlich ist der größte Feind vieler Print-Verlage nicht das Internet, sondern die eigene Kundenansprache. Ein Beispiel dafür ist der digitale Spiegel. In der aktuellen Ausgabe steht ein echter Scoop: Halbprivate Äußerungen des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl über Parteifreunde, über Kollegen und über zeitgeschichtliche Entwicklungen von der Einheit bis zum Euro. Aufgenommen von seinem früheren Ghostwriter Heribert Schwan, juristisch höchst umstritten, aber historisch besonders wertvoll. Der „Spiegel“ hat das Thema auf den Titel gehoben und am Wochenende im Netz angeteasert.

Morgen, am Montag, liegt die Print-Ausgabe bei mir im Redaktionspostfach. Weil ich aber neugierig bin (und im Büro sowieso keine Zeit dafür haben werde), klickte ich bei Spiegel Online auf den Link: „Lesen Sie hier im aktuellen Spiegel“. Ich wusste ungefähr, auf was ich mich einließ.

  1. Ich würde zahlen müssen (na gut)
    und
  2. ich würde meine „Spiegel-ID“ brauchen (ein umständliches Verfahren, aber wozu gibt es den „Ich-habe-mein-Passwort-vergessen“-Link).

Was ich nicht wusste:

  1. Wer eine digitale „Spiegel“-Ausgabe auf einen klassischen Rechner herunterlädt (in meinem Fall auf ein Macbook Air), kann zwar problemlos zum nächsten Artikel wechseln. Aber wehe, wenn er innerhalb einer mehrseitigen Geschichte weiterblättern will. Dafür gibt es nämlich kein sichtbar platziertes Icon. „Spiegel“ lesen auf dem Notebook ist nichts für Grobmotoriker, weil das Umblättern am Touchpad hohes Fingerspitzengefühl erfordert. Die Titelgeschichte über Helmut Kohl läuft in der Digital-Version über 17 Seiten. Aber weil man die Digitalisierung ja immer auch als Chance begreifen muss, sagt man sich: 17 Seiten sind 16 Gelegenheiten, das Umblättern bis zur Perfektion zu lernen.
  2. Es nutzt nichts, bei Usability-Problemen am Notebook einfach zum Tablet zu wechseln. Die iPad-App hat mich zwar sofort als Kunden erkannt, aber sie liefert mir die zuvor auf dem Notebook gekaufte aktuelle Ausgabe trotzdem nicht aus. Ich müsste sie für 3,99 Euro nochmals bestellen, diesmal nicht direkt beim Spiegel-Verlag, sondern im App-Store.

Sicher können die Mitarbeiter des Spiegel-Verlages das alles erklären. Vielleicht sogar damit, dass ich zu begriffsstutzig für komplexe Bestellvorgänge im Internet bin oder den einen oder anderen Link einfach nur übersehen habe. Was nicht peinlich sein müsste, denn Sascha Lobo ist so etwas auch schon mal  passiert. Aber wie stellt ihr euch denn sonst so eure Kunden vor, liebe Digital-Verkäufer?

Einstweilen verbleibt der Spiegel-Verlag mit dieser Nachricht:

Sehr geehrter Herr nachname,

vielen Dank für Ihren Einkauf. Folgende Dokumente haben wir Ihnen berechnet:

1) DER SPIEGEL: Digitale Ausgabe 41/2014: EUR 3,99

Update:, 6. Oktober: Stefan Buhr, Leiter Direktmarketing beim Spiegel Verlag, hat sich netterweise gleich am Montagmorgen gemeldet und angeboten, die 3,99 Euro zurückzuerstatten oder ein „Spiegel“-Digital-Abonnement drei Monate langt kostenlos und testweise zur Verfügung zu stellen. Das ist kulant.

Alternative 1 kommt nicht in Frage, weil ich den Artikel ja gelesen habe und er es mir wert war. Alternative 2 bringt einen ins Grübeln, weil der „Spiegel“ fast immer lesenswert ist.

Die Crowd, die sich nicht traut

Screenshot: Krauterporter.de

Screenshot: Krauterporter.de

Kaum ein klassischer Print-Verlag würde seine IVW-Auflage so unverfroren frisieren, wie die Krautreporter die Zahl ihrer „Unterstützer“ (zu denen ich übrigens auch gehöre). Krautreporter-Gründer Sebastian Esser freut sich im NDR-Interview mit Daniel Bröckerhoff über „15.000 Leute, die wollen, dass es klappt“. 15.000 Unterstützer: So viele wollten die Krautreporter gewinnen, um ihr Journalismus-Projekt ein Jahr lang finanzieren zu können. Leider haben sie haben ihr Ziel verfehlt, denn das amtliche Endergenbnis – 16.506 – ist ein Marketing-Gag.

Meist anonyme Großspender durften bis zu 1.000 „Unterstützer“ simulieren. Peter Esser bestreitet das auf Nachfrage von Bröckerhoff auch gar nicht. Mehr dazu in dieser Analyse von Achim Tack. Seine Liste deutet darauf hin, dass neben der Rudolf-Augstein-Stiftung auch mehrere Unternehmer Geld im Wert von jeweils über 100 „Unterstützern“ zugeschossen haben. Das mag alles legal sein, weil die Krautreporter auf die Möglichkeit von Spenden-Abos hingewiesen haben. Aber 1.000 virtuelle Mitgliedschaften als „1.000 Unterstützer“ zu verkaufen, das klingt weniger nach neuem Online-Journalismus als nach künstlich erhöhter „verkaufter Auflage“ in der Print-IVW.

Sebastian Esser kann sich übrigens gar nicht vorstellen, dass irgendein Großspender Einfluss auf Krautreporter nehmen könnte: „Ich wüsste gar nicht, wie das funktionieren sollte“, sagt er treuherzig ins Bröckerhoff-Mikro. Das Geld fließe ja vor der Berichterstattung und nicht hinterher.

Konsequent zu Ende gedacht hieße das also: Käuflichkeit ist immer nur eine Frage des Zeitpunkts. Ich glaube nicht, dass Esser das ernst meint. Aber ich würde die Krautreporter gerne ernst nehmen. Hoffentlich kann ich das bald wieder, denn eigentlich werden sie gebraucht.

Leser wollen gute Geschichten und kein Digital-Gedöns

Sie möchten Springer enteignen? Mir fehlt dazu gerade die Motivation, denn mit dem neuen iPad-Magazin „Epos“ („Das erste Wissen- und Geschichtsmagazin für die digitale Zeit“) ist dem Konzern ein großer Wurf gelungen.

Die erste „Epos“-Ausgabe erzählt für 6,99 Euro die Geschichte des Ersten Weltkriegs. Und zwar so, dass man ihr folgen kann. Das klingt simpel, ist aber in technikverliebten Entwicklungsredaktionen alles andere als selbstverständlich. Viele digitalen Erzählformate kranken nämlich daran, dass sie vor lauter Multimedia-Kraft die Story nicht zum Laufen bringen und den Leser hilflos zwischen Text-, Bild- und Video-Elementen umherirren lassen. Das erinnert dann an einen Opel-Manta-Fahrer, der an der Ampel lieber die Stereo-Anlage aufdreht und den Motor aufheulen lässt, als bei Grün loszufahren.

Genau diesen Fehler hat man diesmal nicht gemacht. „Epos konzentriert sich auf das Lesen, heißt es in der Pressemitteilung. Soll bedeuten: Statt multimedialer Kakophonie herrscht bei „Epos“ ein klares, lineares Prinzip. Der geschriebene Text ist das Leitmedium, und auf ihn ist alles andere abgestimmt: Bebilderung, Animationen, Info-Kästen, Ton -und Video-Dokumente. Der Leser dankt.

„Epos“ ist in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum in Berlin entstanden. Man merkt dem Magazin an, dass neben Journalisten auch routinierte Museumspädagogen mit Blick für besondere Details am Werk waren. Es hat ihm gut getan (Was einen nebenbei auf den Gedanken bringt, dass gute Museumsmacher vielleicht öfters mit Multimedia-Projekten beauftragt werden sollten, denn sie kennen sich mit multimedialen Vermittlung komplexer Inhalte wahrscheinlich besser aus als die meisten Journalisten).

Ist „Epos“ perfekt? Natürlich nicht. Es gibt einige kleine Schönheitsfehler wie falsche Ränge und Titel (die aber wohl nur promovierte Historikern stören), die Textqualität ist ordentlich, aber nicht herausragend, und warum finde ich eigentlich nichts über den deutschen Bündnispartner Türkei? Trotzdem ist „Epos“ das beste Digitalmagazin, das ich seit langem gesehen habe.

Gute journalistische Geschichtsschreibung gilt eigentlich als Spezialität des „Spiegel“. Zufälligerweise kam er genau in dieser Woche mit einem historischen Thema auf dem Titel: „Mein Vater, der Mörder“, eine sehr persönliche Geschichte von Cordt Schnibben. Für das Internet entstand daraus eine digitale „Story“ mit bedeutungsschwerer Musik, Comic-artigen Illustrationen,  spielerischen Funktionen wie „In die Akte zoomen“ und Textschnipseln, die ein bisschen an die Sendung mit der Maus erinnern. Ich hab’s irgendwann aufgegeben und die Geschichte in der Print-Ausgabe gelesen.

Update: Marcus Anhäuser hat sich „Epos“ auch angesehen und beschreibt das Magazin in diesem Screencast:

TV-Historienfilme: Ich wähle Winston statt Wagner

Churchill in Quebec, August 1943. Foto: FDR-Library, Photos of WW2 Collection / Public Domain

Churchill in Quebec, August 1943. Foto: FDR-Library, Photos of WW2 Collection / Public Domain

Churchill? Das war doch der unsportliche Dicke mit der Taschenuhr, der im Zweiten Weltkrieg immer Zigarren geraucht hat. So ungefähr würden viele Deutsche antworten, wenn man sie nach Winston Churchill fragte, dem Mann, ohne den wir als Teenager wahrscheinlich alle in der Hitlerjugend gelandet wären. Dabei lohnt es sich, das Multi-Talent Churchill näher kennen zu lernen.

Multi-Talent nennen wir heute einen Politiker, wenn er neben der Geschäftsordnung seiner Landtagsfraktion auch die EU-Abgasnorm zitieren kann. Churchill schaffte mehr: Er war als Politiker so bedeutend wie als Autor. Er bekämpfte Nazi-Deutschland so früh, so lange und so zäh wie kein anderer alliierter Staatsmann, er schrieb dicke historische Bücher und er gewann 1953 dafür den Literaturnobelpreis.

In der Politik konnte er furchtbar unmodern sein – zum Beispiel in der Frage der indischen Unabhängigkeit. Aber als Medienprofi wäre er heute noch auf der Höhe der Zeit. Als er in den 30er Jahren nur noch ein alternder Ex-Minister war, in keine Regierung mehr berufen wurde und mit seinen ständigen Warnungen vor Hitler der eigenen Parlamentsfraktion auf die Nerven ging, machte er mit einer Flut von Zeitungsartikeln auf sich aufmerksam.

Hätte es damals schon Talkshows und das Internet gegeben – Churchill wäre Dauergast in der britischen Version von Günther Jauch und Blogger mit hunderttausenden Fans und Followern gewesen.

Ich erzähle das alles, weil ich gestern zufällig diesen Film auf Youtube entdeckt habe: „The Gathering Storm“ mit Albert Finney und Vanessa Redgrave aus dem Jahr 2002.

In diesen 96 Minuten (beziehungsweise zehn kostenlosen Youtube-Videos; fragen Sie mich nicht, ob die BBC das weiß) geht es um genau diese Zeit. Also nicht um Churchills „finest hours“ während des Krieges, sondern um seinen politische Bedeutungslosigkeit Mitte der 30er Jahre, seinen Kampf gegen die Appeasement-Politik der eigenen Partei und sein unerwartetes Comeback im Rentenalter von 65 Jahren.

Daneben natürlich auch um private Dinge wie seine Ehe mit „Clemmie“, seine Liebe zu seinem Landhaus Chartwell (das er sich eigentlich gar nicht leisten kann), seine Bewunderung für seinen barocken Vorfahren Marlborough, seine Angewohnheit, an merkwürdigen Orten Parlamentsreden einzuüben und natürlich um Churchills Vorliebe für Dundee Cake (jeden Nachmittag), Champagner (jeden Abend) und Zigarren (immer).

Heute Abend kommt im linearen ZDF übrigens auch ein historisches Thema: „Der Clan – Die Geschichte der Familie Wagner“. Weil das deutsche Fernsehen mit gut gemachten „Historienfilmen“ nicht gerade verwöhnt, bin ich ja skeptisch und höre Iris Berben als Mutter Wagner schon Dinge sagen wie: „Vergiss nie, du bist ein Wagner!“. Aber vielleicht tue ich dem ZDF auch Unrecht. Trotzdem schalte ich wohl eher bei Youtube ein. Es muss da eine Art Fortsetzung von „The Gathering Storm“ geben – mit zwei Emmy-Awards.

Warum Storify das Internet ein bisschen besser machen könnte

Xavier Damman ist Gründer und CEO von Storify. Foto: Storify

Xavier Damman ist Gründer und CEO von Storify. Foto: Storify

Das Internet wird von Geheimdiensten überwacht und von Shitstorm-Idioten tyrannisiert. Aber abgesehen davon steckt es immer noch voller guter Möglichkeiten. Eine davon heißt Storify. Diese Social-Media-Plattform wird die Welt nicht retten (geschweige denn Facebook ersetzen), aber wenn man eine Nummer kleiner akzeptiert, kann man damit interessante Geschichten erzählen; zusammengestellt aus Artikeln, Tweets, Facebook-Posts, Bildern und Videos unterschiedlicher Internetnutzer.

Wie die meisten guten Ideen ist auch die des Storify-Gründers Xavier Damman (ein Belgier in San Francisco) simpel: Man sammelt Inhalte zu einem bestimmten Thema und stellt sie per Drag and Drop in der gewünschten Reihenfolge zusammen. Jedes dieser Content-Collagen („Storifies“) ist eigentlich nichts anderes als das klassische Dossier. Nur übersichtlicher und vielfältiger in der Auswahl der unterschiedlichen Quellen und Netzwerke. Aber das ist nur die eine Seite.

Denn Storify zieht nicht nur Inhalte aus dem Netz, sondern gibt sie in neuer Form auch wieder an das Netz zurück. Jede Storify-Collage lässt sich über einen Embed-Code in jede Webseite einfügen. Das funktioniert genau so einfach wie bei einem YouTube-Video und macht Storify für Medienhäuser besonders interessant. Eingebettet in einen redaktionellen Artikel bei Spiegel Online, Süddeutsche.de oder neuerdings auch bei W&V (hier steht, was ich mit W&V zu tun habe) zahlt der Storify-Content auf das IVW– und Reichweitenkonto der jeweiligen Verlage ein.

Die Idee, Inhalte aus dem Netz zu sammeln und diese Auswahl mit anderen Nutzern zu teilen, ist nicht neu. Vor zehn Jahren versuchte man das über Social Bookmarks. Aber anders als die spröden Linklisten der Web2.0-Ära bietet Storify alles, was eine gute Online-Geschichten braucht: Bildhaftigkeit, Tempo, mehrere Perpektiven, Rhythmus.

Redaktionen können ihre eigenen Inhalte mit denen ihrer Leser und sogar ihrer Wettbewerber kombinieren (sofern kurativer Journalismus für sie kein Schimpfwort ist). Natürlich können Sie aber einfach nur Tweets zu #ibes sammeln. Es gibt viele Möglichkeiten und im Augenblick kenne ich nur einige davon.

Wahrscheinlich bleibt es ein frommer Wunsch, aber Storify könnte nicht nur zu einem offeneren Journalismus führen (das Wort kollaborativ verwende ich lieber nicht). Storify hätte auch das Potenzial, soziale Medien ein bisschen weniger oberflächlich zu machen. Ein lustiges Foto und ein flotter Spruch auf Facebook sind ja schnell gepostet, die Unterschrift unter die nächste Lanz/Brüderle/Thomas Krüger/Wer-auch-immer-muss-weg-Petition geht noch leichter von der Hand und ein Like oder Fav sowieso. Aber bei Storify unterschiedliche Meinungen zu einem bestimmten Thema zu sammeln, zu ordnen und darüber nachzudenken: das wär’s doch mal.

Ich hoffe, Patrick Breitenbach lässt das hier als Beitrag zum Thema #Internetoptimismus durchgehen. Seine Blogparade verdient jedenfalls Unterstützung.

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