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Die Gastgeber der iCONSMr: Martin Grass und Marcus Wailersbacher. Foto. Defacto

It’s the CRM, stupid!

Vor 15 Jahren war CRM für Marketer ungefähr so interessant wie der Sprit beim Formel-1-Rennen. Klar, es ging nicht ohne, und irgendwo musste es schlaue Menschen geben, die Unternehmen mit sehr viel Detailwissen betankten. Aber da wollte man eigentlich nicht stören, zumal es immer mit „Dialogmarketing“ oder „Direktmarketing“ zu tun hatte. Mit einer Marketinggattung also, die sich auf der Glamour-Skala irgendwo zwischen lokaler Radiowerbung und Hackfleisch-Reklame bewegte. Und Glamour war wichtig damals. Was für eine Illusion.

Natürlich gab es längst das Internet und „Web 2.0″. YouTube und Facebook kamen auf. Aber das Maß aller Dinge war noch bis weit in die Nullerjahre hinein die TV-Kampagne von Jung von Matt und eine Siegerurkunde bei den Lead Awards. Was für ein Irrtum.

Die Digitalisierung und das, was wir „Big Data“ nennen, hat das komplett umgedreht. Die Werbebranche pumpt zwar immer noch viel Geld in Kampagnen alten Stils und in die Award-Jahrmärkte, auf denen sie herumgereicht werden. Aber die spannenderen Strategien, die größeren Etats und die effektivere Kommunikation findet man längst anderswo.

Eigenartigerweise gibt es für das Thema CRM noch kein Fachmedium oder Business-Blog (was eigentlich dasselbe ist), aber mit der iCONSMr immerhin eine Eventplattform. Sie wird traditionell vom deutschen CRM-Spezialisten Defacto organisiert und wäre das Klassentreffen der Branche, wenn man bei Defacto nicht streng darauf achten würde, dass ausschließlich Retailer und Brands vertreten sind. Dienstleister bleiben außen vor, was die Veranstaltung exklusiver, aber nicht unbedingt langweilig macht: Man schenkt sich die sonst üblichen Werbevorträge von Lösungsanbietern und beschäftigt sich mit dem Wesentlichen.

Ich durfte im vergangenen Jahr die iCONSMr-Berichterstattung für W&V koordinieren und war diesmal für Defacto selbst vor Ort. Ich erspare Ihnen einen Event-Bericht und beschränke mich auf drei Dinge, über die man etwas länger nachdenken sollte, ehe es der Wettbewerb für einen tut.

1. Wie lange gibt es noch Websites?

Ein großes Gesprächsthema auf der iCONSMr war der „Business Chat“ von Apple. Falls Sie sich noch nicht damit beschäftigt haben: WhatsApp ist Kindergeburtstag dagegen. Ähnlich wie WeChat bietet Apple ein Messenger-Ökosystem mit Bezahlfunktion und so viel Kunden-Komfort, dass die klassische Website kaum noch gebraucht wird. Ich frage mich, welche Unternehmen sich mit diesem Szenario schon ernsthaft auseinandergesetzt haben und ob z. B. den deutschen Medienhäusern klar ist, was auf sie zukommt.

2. Wie lange reden wir noch von „Voice“ und Sprachassistenten?

Das, was wir mit „Voice“ umschreiben, ist seit Alexa der heiße Scheiß, aber wer kauft seine Schuhe oder sein neues Wohnzimmersofa im Dialog mit dem Sprachassistenten? Die Zukunft ist multi. Jörg Heinemann von Otto brachte es auf die simple Formel: „Sprache rein, heißt nicht Sprache raus“.

Wenn Audio-Empfänger ihre Informationen ganz selbstverständlich auf Bildschirmen ausspielen, in Smartphone-Einkaufslisten übertragen und mit Kühlschrank-Inhalten abgleichen, reden wir nicht mehr über „Voice“, „stationär“ oder „E-Commerce“, sondern über eine komplett neue Art des Einkaufens.

3. Wie lange funktioniert der Wettbewerb?

Einer der Keynote-Speaker auf der iCONSMr war Martin Sinner, der Gründer von Idealo und Begleiter von Kai Diekmann auf dessen legendärer Reise ins Silicon Valley. Sinner lebt heute noch dort und studiert das Dilemma des neuen Startup-Kapitalismus. Zum Beispiel an Mega-Investor Peter Thiel, der kein wirkliches Interesse am wirtschaftlichen Wettbewerb hat. Thiel mag Quasi-Monopole, weil sie Unternehmen ermöglichen, sich voll auf Entwicklung und Innovation zu konzentrieren. Die heutige Plattform-Ökonomie wäre demnach nur der Anfang.

Gegen die digitalen Supermächte hatte der deutsche Seriengründer Fabian Spielberger nur ein Rezept: „Ihr müsst diese Plattformen so hart ausnutzen wie möglich.“ Das klingt gut und stimmt wahrscheinlich auch. Man schafft das aber weniger durch preisgekrönte Werbung, als durch sehr gute Kundenbindung, Mehrwert und positive Markenerlebnisse. Die Plattformen selbst haben es uns einmal vorgemacht und uns genau damit überzeugt. Oder wie hieß nochmal die legendäre TV-Kampagne, durch die Facebook groß geworden ist?

Disclaimer: Die iCONSMr wird vom Unternehmen Defacto veranstaltet, mit dem ich in Geschäftsbeziehungen stehe.

Wiedervorlage für 2020

t3n-fz„8 Fragen zur Zukunft des Journalismus“ heißt eine Interview-Serie, die auf dem Blog der Kölner Agentur OSK und beim Online-Dienst t3n.de erscheint. Am Montag dieser Woche war ich an der Reihe.

Eigentlich kann ich mit der „Zukunft-des-Journalismus“-Debatte wenig anfangen, weil sie sich fast immer nur im Kreis dreht. Wahrscheinlich ist auch mein eigener Beitrag dazu wenig originell, aber ehe man bei einem vermeintlich ausdiskutierten Thema mit den Augen rollt (wozu ich leider vorschnell neige), sollte man sich über seine Position klar werden und sie formulieren. Der Journalist und Blogger Carsten Christian hat mich mit seinen „8 Fragen“ dazu gezwungen und bei Frage 6 freundlich aber unerbittlich nachgehakt.

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Ich kann mit der Worthülse Qualitätsjournalismus wenig anfangen. Eigentlich sagt noch nicht einmal der Begriff Journalismus besonders viel aus, denn das faktische Medienmonopol der 90er-Jahre-Journalisten ist dahin. Einem guten Text ist es egal, ob er von einem Journalisten, einem Blogger oder einem sonstigen Experten geschrieben wurde; ich mache da keinen Unterschied mehr. Es geht um Qualität, nicht um Journalismus oder Nicht-Journalismus.

Wenn Sie mit Qualitätsjournalismus klassische Medienmarken mit besonders hohem Anspruch an die Produktqualität meinen, ist die Antwort: Sie werden sich irgendwann dadurch auszeichnen, dass sie überlebt haben. Denn ich bin nicht sicher, ob das allen gelingen wird. Herausragende publizistische Qualität wird zwar immer gefragt sein, aber wer sie nicht effizient produziert und geschickt vermarktet, hat es sehr schwer.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Im Online-Journalismus gibt es nach wie vor einen starken Hang zur Boulevardisierung, jetzt zusätzlich befeuert durch Angebote wie Huffington Post , Buzzfeed oder Heftig.co . Das Niveau wird nicht besser. Ich bezweifle aber, ob der Werbemarkt das alles auf die Dauer finanzieren wird. Beim Zusammenspiel von Print und Online werden wir in den kommenden Jahren viele Modelle à la Spiegel erleben, also eine Koexistenz von kostenfreien Online-Artikeln und digitalisierten Print-Inhalten, für die man zahlen wird. Bei der eigentlichen journalistischen Arbeit verschieben sich die Schwerpunkte von der Produktion zur Kommunikation: Der Typus des Nachrichtenjägers verliert an Bedeutung, weil Nachrichten im Netz nichts mehr wert sind. Dafür wird der Typus Redaktionskommunikator wichtiger. Er tauscht sich intensiv mit Lesern und Multiplikatoren aus und verbreitet seine Artikel oder Videos in dem Raum, den wir heute Social Web nennen.

3. Wie und wo recherchierst du nach guten und spannenden Inhalten?

Auf Twitter und in meinem RSS-Feed. Facebook ist nicht mehr so wichtig, dafür aber immer noch die gute alte E-Mail. Was man oft unterschätzt: Gedruckte Zeitschriften und Zeitungen können eine Fundgrube sein. Leider bleibt für Print meistens zu wenig Zeit.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Dasselbe wie immer: Dinge schreiben, die interessieren. Und den Kontakt zum Leser suchen. Das Netz bietet dafür sehr gute Möglichkeiten.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Ich glaube nicht, dass Journalisten zwingend eine Programmiersprache beherrschen müssen. Ehrlich gesagt, geht mir die quasi religiöse Überhöhung des Digitalen manchmal auf die Nerven. Wir sollten neue Technologien ganz einfach als potenzielle Arbeitsmittel begreifen, mit ihrer Hilfe einen guten Job machen und uns ansonsten nicht so wichtig nehmen. Generationen vor uns haben auch schon technologische und damit verbundene gesellschaftliche Umwälzungen erlebt. Wir sollten nicht so tun, als wären wir die Ersten auf der Welt, die mit Fortschritt konfrontiert werden.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Vor allem mit Werbung, aber hoffentlich mit besserer und kreativerer als heute im Netz üblich. Paid Content wird nicht reichen. Nebengeschäfte von Medien und Verlagen werden zunehmend wichtiger. Das können eigene Veranstaltungsangebote wie Awards, Messen, Konferenzen oder Seminare sein – wie sie schon jetzt im Fachinformationsbereich vielfach üblich sind. Magazine werden künftig weitere Geschäftsfelder für sich entdecken, die zu ihren publizistischen Inhalten passen. Man muss sich ja nur am altbekannten Modell der Leserreise orientieren. All diese Veranstaltungen und Dienstleistungen werden sich hier und da zum Hauptgeschäft der Verlage entwickeln, und das bisherige journalistische Kernprodukt wird zur Kunden- oder Mitgliederzeitschrift der Leser-Community. Auch daran werden wir uns gewöhnen müssen.

Natürlich machen wir uns bei W&V auch unsere Gedanken. Es ist weder aktuell noch geplant, aber warum sollte beispielsweise eine Fachzeitschrift für Marketing und Werbung wie W&V nicht auch in der Lage sein, eine Crowdsourcing-Plattform für Kampagnen und Kreationen zu betreiben?  Ich meine damit einen digitalen Marktplatz für Ideen und Kreativleistungen. Es ist seit jeher das Geschäftsmodell der Medien, Leser und Werbekunden zusammenzubringen. Nirgendwo steht, dass das auf immer und ewig mit Anzeigen oder Spots funktionieren muss. Die Hauptsache ist, dass das Medium das tut, wofür schon sein Name steht: zu vermitteln. Solange das glaubwürdig und transparent abläuft, spielt die Plattform keine Rolle.

7. Wie sehen deiner Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Es gibt 2020 mehr sehr gute und mehr sehr schlechte, schrille Inhalte. Lauwarmes Mittelmaß ohne Empathie lesen wir seltener als heute. Was die Formate angeht, wird es etwas mehr Videos geben. Aber nicht, weil die Nutzer es wollen, sondern weil der Werbemarkt danach verlangt. Textjournalismus bleibt trotzdem das Rückgrat der Online-Medien – allein schon deshalb, weil er auf mobilen Geräten leichter konsumiert werden kann.

Ansonsten werden einige klassische Medienmarken verschwunden sein oder nur noch als entkernte oder kaputtsanierte Zombie-Marken weiterexistieren. Dafür gibt es eine Menge neuer Plattformen und professioneller Blogs. Wobei man den Unterschied zwischen einem reichweitenstarken und einer klassischen Medienmarke spätestens 2021 nicht mehr erklären kann. Vorher streiten Stefan Niggemeier und Thomas Knüwer aber noch über die einzig mögliche Rettung für die FAZ.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Ich fände so eine Art Verbrauchermagazin im Brand-eins-Stil interessant. Also ein Magazin, das die Glaubwürdigkeit von Marken thematisiert, ohne ihre Produkte bis zur dritten Nachkommastelle zu analysieren.

(Das Interview plus biografischem Vorspann erschien zuerst hier und hier.)

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