Alexander Wallasch hat mich für vorletzte Woche für „Tichys Einblick“ interviewt. Anlass war der Artikel „So funktioniert Hate-Economy“ auf W&V Online. Wallasch wählte einen betont ruppigen Stil, der ein bisschen ins Trollige ging. Für mich war es die Chance, Leser außerhalb der eigenen Facebook-Filterblase zu erreichen. Der Originaltext inklusive Vorspann erschien unter dem Titel „In zehn Schritten zur Verschwörung – eine Anleitung aus dem Hause W&V“ hier. Und das waren die Fragen und Antworten:
Alexander Wallasch: Meine Gesprächsanfrage beantworteten Sie mit dem Satz: „Ich bin immer an konstruktivem Dialog interessiert.“ Ihr Artikel spricht da allerdings eine ganz andere, eine konfrontative, eine lupenrein Dialog-ferne Sprache. Lösen Sie mir diesen Dissens kurz auf?
Frank Zimmer: Beziehen Sie diesen Artikel wirklich auf sich? In meinen 10 Punkten habe ich bewusst keine Medienmarke genannt. Ich glaube nämlich, dass die dort beschriebene Zeit der gnadenlosen Demagogie-Plattformen erst noch kommt. Ob Tichys Einblick dahin will, weiß ich nicht. Ihr Angebot zum Dialog ist jedenfalls das richtige Signal. Wir reden alle viel zu oft übereinander statt miteinander.
AW: Ach ne, das ist mir zu schlaudeutsch. Sie machen jetzt einen Rückzieher. Denn schließlich moderieren Sie Ihren Artikel sogar mit Namensnennung an. Und erklären dann gleich zu Beginn: Rechtspopulisten und Neurechte geben sich gerne einen Anstrich: „liberal-bürgerlich-konservativ-kritisch-unabhängig“. Was glauben Sie, wie viel Prozent Ihrer Leser angesichts Ihres Veröffentlichungszeitpunkt an Tichys Einblicke denken? Und denken sollten?
FZ: Ich versuche es mit Fakten: Der Text beginnt mit Stichworten zu aktuellen Debatten, darunter auch „Hensel“ und „Xing“. Und was die Veröffentlichung angeht: Teile dieses Textes sind erschienen, ehe die Debatte um Herrn Tichy überhaupt losging. In einem Kommentar über Hate-Economy, der im Dezember in der Print-Ausgabe von W&V veröffentlicht wurde.
AW: Und wie könnte so ein Dialog über dieses Interview hinausgehend aussehen in Zukunft? Was schlagen Sie vor?
FZ: Mein persönlicher Dialog-Plan für 2017 ist, Bier trinken mit meinem Kollegen Ben Krischke. Er schreibt für W&V und für die Achse des Guten, wir sind fast nie einer Meinung, aber wir können miteinander diskutieren und denken sogar über ein gemeinsames Blog-Format nach.
AW: Welche zwei, drei Artikel bei Tichys Einblick haben Ihnen bisher am besten gefallen und warum?
FZ: Roland Tichys Artikel „Steinmeier oder Schulz“ vom 18. November 2016 finde ich z.B. interessant und gut geschrieben. Tichys Einblick hat sowieso eine Menge namhafter Autoren, das ist nicht der Punkt.
AW: Na, was ist denn dann „der Punkt“, wenn Tichys Einblick überhaupt nicht gemeint ist? Worüber reden wird dann eigentlich. Sie erwähnen, Roland Tichy und andere hätten bei den „Mainstream-Medien“ mal eine wichtige Rolle gespielt. Glauben Sie von sich selbst, eine solche aktuell zu spielen? Wenn nicht, wäre das Ihr Wunsch?
FZ: Sie setzen jetzt voraus, dass ich Herrn Tichy gemeint habe, obwohl das auch auf Herrn Broder, Herrn Maxeiner, Herrn Müller-Vogg oder andere namentlich noch nicht bekannte Journalisten zutreffen würde, die jetzt vielleicht schon ihr rechtspopulistisches Medien-Startup planen, ohne dass wir es wissen. Aber wenn Sie auf meine eigene Position im Medienbetrieb hinauswollen: Ich bin Fachjournalist und damit im Vergleich zu Tichy oder Broder maximal Zweite Liga. Das ist doch klar. Umso mehr wundere ich mich ja, dass gerade diese bekannten Journalisten sich von den großen Medienmarken abgrenzen. Im Dezember bekam ich eine Mail von einem Leser, der sich selbst als „Dunkeldeutschen“ beschrieb und mir sinngemäß vorwarf, ich sei Teil der Medienelite, die einen Außenseiter wie Broder vernichten wollte. Das fand ich bizarr. Ich schreibe doch für die kleine W&V und nicht für die „Welt“, wie Broder.
AW: Also nun entscheiden Sie sich mal, wen Sie meinten mit Ihrer 10-Punkte-Verschwörungstheorie. Und was Tichys Einblick angeht – zunächst einmal sehe ich hier eine Abgrenzung in der wachsenden Leserschaft, damit können, was Sie die „Mainstream-Medien“ nennen, nicht dienen. Im Gegenteil. Das weckt natürlich Begehrlichkeiten. Dass es diese Blätter allerdings so schmerzt, hat sogar uns überrascht.
FZ: Hab ich oben schon zu erklären versucht. Aber gerne nochmal: Ich meine Plattformen, die aus Hass, Hetze und der Spaltung der Gesellschaft Kapital schlagen wollen. Ob Sie diesen Weg gehen wollen, weiß ich nicht. Ich kenne Ihre Strategie nicht und habe Sie darum auch nicht erwähnt.
AW: Womit haben Sie denn ihre „Werbekunden verschreckt“? WUV verliert ja seit Jahren kontinuierlich – phasenweise dramatisch – Leser, während Tichys Einblick zulegt und zuletzt von bis zu doppelt so vielen Menschen gelesen wurde. Und schon ein wenig pikant in so einer Situation eine Verschwörungstheorie zu platzieren, oder?
FZ: Wollen wir über Auflage oder Werbeumsatz, Print oder Online reden? Das sind ja unterschiedliche Dinge. Die Print-Auflage ist natürlich gesunken, da geht’s uns wie fast allen Print-Magazinen seit 2000. Herr Tichy hat das bei der „Wiwo“ ja auch erlebt, glaube ich. Über unseren Werbeumsatz können wir jedenfalls nicht klagen. Wobei wir uns als Fachmedium natürlich in einer besseren Situation befinden, weil wir nicht von Google-Anzeigen oder Restplatzvermarktung abhängen, sondern z.B. auch über Lead Generierung und Sponsoring arbeiten können. Wer wie TE oder die Achse des Guten im Werbegeschäft rein auf Reichweite setzen muss, fährt meiner Meinung nach besser mit Abo- oder Patenschaftsmodellen. Darum bin ich mir auch nicht sicher, ob z.B. die Aktion von Gerald Hensel wirklich so existenzbedrohend war, wie von der Achse des Guten behauptet. Die verfolgen ja schon länger ihr Patenschaftsmodell, und genau dieses Geschäftsfeld profitiert natürlich von dem, was im Branchensprech „Eine Marke emotional aufladen“ heißt.
AW: „Je schriller Sie polarisieren, desto stärker die Aufregung, desto effektiver die Mobilisierung, desto höher die Reichweite“ – klingt wie ein Lernsatz aus der Werbebranche, oder? Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Wie machen Sie es denn bei WUV? Was empfehlen Sie den Mitbewerbern?
FZ: Wie gesagt, W&V ist ein Fachmedium und darum sicher kein Mitbewerber für TE, die Achse oder andere politische Titel. Aber natürlich müssen auch wir uns hier den Regeln des Online-Journalismus unterwerfen und auf möglichst große Resonanz im Lesermarkt achten. Aber es gibt immer Grenzen, wie z.B. die persönliche Herabwürdigung. Diese Grenzen sind z.B. im Fall Gerald Hensel überschritten worden. Von Herrn Broder und meiner Meinung nach auch von TE. Ich meine Ihren Artikel nach Hensels „Stern“-Interview. Da lag er doch schon am Boden.
AW: Sie politisieren doch Ihr Fachmedium. Das ist doch eine Ihrer Kernaussagen. Und im Fall Hensel verwechseln Sie natürlich Aktion und Reaktion. Aber immerhin sind wir einig, dass Sie ihn am Boden gut positioniert fanden.
FZ: Sie meinen ein Fachmedium für Marketing sollte nicht über Politisierung von Marken schreiben? Verstehe ich nicht.
AW: Der Einfluss politisch-gesellschaftlicher Veränderungen auf die öffentliche Meinungsbildung spielt bei Ihrer Gegenwartsbetrachtung eine deutlich untergeordnete Rolle, alles ist Ihnen irgendwie im düsteren Hinterzimmer zusammengeraunt – oder böser: bei Breitbart hinterm großen Wasser abgeschaut. Wie kommt’s?
FZ: Ich glaube nicht an das Hinterzimmer und auch nicht an die große Verschwörung. Das Internet bietet einfach die Möglichkeit, schnell und mit relativ geringen Mitteln, eine neue Medienmarke aufzubauen. Klar, dass viele diese Chance ergreifen.
AW: Wir drehen uns im Kreis Herr Zimmer. Sie schrieben das Drehbuch einer von Ihnen angenommenen Verschwörung. Zur Erinnerung: Darüber sprechen wir gerade.
FZ: Was soll das für eine Verschwörung sein? Ich skizziere eine mögliche Geschäftsstrategie, die man sogar alleine durchziehen könnte. Wäre das dann eine Ein-Mann-Verschwörung?
AW: Kursiv unter Ihrem Text: „Disclaimer: Der Autor unterstützt das von Christoph Kappes angestoßene Projekt Schmalbart, das sich für faire Debatten- und Medienkultur im Netz einsetzt.“ Was genau tun Sie da?
FZ: Ich zahle jeden Monat 5 Euro. Also auch eine Art Patenschaftsmodell, wenn Sie so wollen. Vielleicht schreibe ich irgendwann auch mal dafür. Mich interessieren diese Themen einfach, ich habe mal Geschichte studiert.
AW: Jetzt müssen Sie selber lachen, oder? Ich verspreche Ihnen: Mein nächster Artikel bekommt folgenden Disclaimer: „Der Autor kauft jedes Weihnachten für 4,99 Euro 12 UNICEF-Postkarten. Eine Aktion, die sich weltweit für Kinder in Not einsetzt.“
FZ: Sie können unter Ihre Artikel meinetwegen auch „Danke, Merkel!“ schreiben, Herr Wallasch. Wir sind ein freies Land.
AW: In der Branche galt vielen – mal von der Regelausnahme abgesehen – jahrzehntelang das unausgesprochne Gesetz: Keine Farbigen abbilden, keine Schwulen, kein Jesus und vor allem: keine Politik. Wollen Sie die Hure nun ins Kloster zwingen oder geht sie freiwillig?
FZ: Ich bin evangelisch und hab’s nicht so mit Klöstern. Die politische Debatte gehört mitten rein in unsere Gesellschaft. Man muss ja nicht gerade gehässig werden, intolerant diskutieren und persönlich werden.
AW: Warum gehen Attacken auf Medien-Startups so oft von Werbeleuten mit Regierungs-Kontakt aus?
FZ: Über den Begriff „Attacke“ kann man streiten und 2 Initiativen sind auch nicht unbedingt „oft“. Aber ich vermute, dass Agenturen mit Politik-Kunden überdurchschnittlich viele politisch gebildete und politisch engagierte Mitarbeiter haben. So wie eine BMW-Agentur überdurchschnittlich viele Mitarbeiter hat, die sich für Autos interessieren.
AW: Wie finden Sie es, wenn Werber zum Boykott aufrufen gegen Kunden anderer Agenturen?
FZ: Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Das gilt für einen Artikel von Herrn Tichy oder Herrn Broder ebenso wie für die öffentliche Äußerung eines Privatmanns, diese oder jene Marke nicht mehr zu konsumieren, weil ihm irgendetwas daran nicht gefällt. Was nicht geht, sind strafrechtlich oder wettbewerbsrechtlich relevante Äußerungen. Ob diese oder jene Äußerung immer klug ist, muss jeder für sich entscheiden.
AW: Ach, das ist jetzt schade, ich dachte, wir wären über diesen Punkt hinaus, anzunehmen, z.B. der Schweinerei eines Herrn Hensel hätte irgendwer hinterhergekräht, wenn er NICHT bei Scholz & Friends tätig gewesen wäre.
FZ: Mercedes hat gerade erklärt, sich von „Plattformen mit … politisch polarisierenden Inhalten“ zu distanzieren und will z.B. nicht auf Breitbart werben. Ist das auch eine Schweinerei?
AW: Was halten Sie davon, dass Anwürfe wie „Hass“ und „Populismus“ zunehmen die politische Debatte in eine Schlammschlacht verwandeln? Was könnte die Werbebranche tun, um eine Versachlichung zu fördern?
FZ: Schwierige Frage. Sie sehen es wahrscheinlich anders, aber ich finde, dass die „Schlammschlacht“ eher von rechts kommt. Wobei ich glaube, dass das so genannte linksliberale Milieu (dem ich mich persönlich zugehörig fühle) gelegentlich abgehoben wirkt und mit der Wucht der Debatte manchmal überfordert ist. Es hilft nichts, sich über Leute mit Rechtschreibproblemen lustig zu machen.
AW: Also eben sprechen wir nicht darüber, dass Sie sich über Rechtschreibprobleme lustig gemacht hätten. Wir sprechen darüber, das wir einen Dialog finden müssen, wo Sie einen Artikel liefern, der das direkte Gegenteil davon war. Aber gut, wir haben ja dennoch zusammengefunden. Sie sind per „Du“ mit Herrn Hensel. Wie weit geht sonst Ihre Zusammenarbeit.
FZ: Gerald Hensel hat mir das „Du“ angeboten, nachdem ich seinen zu emotionalen Ton gegenüber Achse-Lesern kritisiert hatte. Ich habe ihn von Anfang als jemanden mit klarer Meinung kennengelernt, der aber immer mit sich reden lässt und Einwände akzeptiert, wenn nicht wünscht. Wir haben uns per E-Mail kennengelernt, als er uns im November sein Artikel über Politisierung von Marken angeboten hatte. Ich hab ihm in einigen Punkten widersprochen (und mit ihm darüber diskutiert), fand aber seine Meinung respektabel. Seitdem haben wir zwei Mal telefoniert, zuletzt wegen eines möglichen Interviews. Mir ist klar, dass aufgrund des „Du“ der Verdacht nahe liegt, ich hätte keine Distanz zu ihm. Man muss aber wissen, dass Fachmedien sich intensiver mit Ihren Lesern und Gastautoren austauschen, als es bei der Publikumspresse der Fall ist. Das „Du“ ist innerhalb der Branche nicht ungewöhnlich.
AW: Danke IHNEN für das Interview.