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Lobos Internet und Broders Kondome

Henryk M .Broder

Henryk M .Broder / Wikipedia / Creative Commons

Wenn Henryk M. Broder von jemanden behauptet, er verstünde etwas nicht richtig, dann meint er damit gewöhnlich: „Jemand hat eine andere Meinung als ich“. Diesmal geht es dem „Welt“-Kolumnisten um Sascha Lobo, der in in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ausführlich, sehr persönlich und ziemlich gut über die Deformation des Internets durch die NSA-Affäre geschrieben hat („Das Internet ist kaputt“). Alles nicht so schlimm, meint Broder, denn Lobo „versteht nur das Wesen der Dinge nicht richtig“.

Das Internet sei weder kaputt noch gut oder böse. Es handle sich ja nur um eine Technologie. Und Technologien würden manchmal eben missbraucht. So wie ein Lastwagen, der Soldaten an die Front transportiere statt Tomaten auf den Markt. Oder ein Messer, mit dem man nicht immer Brot schneide, sondern manchmal auch die Schwiegermutter. Oder ein Kondom, das prinzipiell ja auch für eine Vergewaltigung…..Und so weiter und so weiter.

Man kennt diese Argumentation von amerikanischen Waffenlobbyisten: Das Gewehr ist nie das Problem, höchstens der Schütze. Also her mit der Knarre.

Wie in jeder Digital-Debatte darf natürlich auch die beliebte Buchdruck-Analogie nicht fehlen. Der Blogger Don Dahlmann kann zwar den „Frust von Sascha Lobo verstehen“, tröstet  aber mit dem Hinweis auf die Luther-Bibel:

„Weder konnte die Überwachung der Druckereien, noch konnten Strafen die Verbreitung verhindern. Mitte des 17. Jahrhunderts stand die Luther-Bibel in 40 % aller deutschsprachigen Haushalte“.

(Die Zahl bezweifle ich übrigens, denn unmittelbar nach dem 30-jährigen Krieg könnte das Luther-Bibel-Geschäft an deutlich mehr als an 60 Prozent der deutschsprachigen Haushalte vorbei gegangen sein. Wegen folgender Ausschlusskriterien: 1. Armut 2. Analphabetismus 3. Katholizismus).

Es hat etwas Ironisches, wenn ausgerechnet die Gesundbeter der Internets mit analogen Gegenständen wie Messern, Kondomen und Luther-Bibeln argumentieren. Was sie dabei übersehen: Es geht nicht um die Verbreitung einer Technologie, nicht um ihren gelegentlichen Missbrauch und auch nicht um die von Karsten Lohmeyer behandelte Frage, wie wir das jetzt Internet besser oder produktiver nutzen können.

Es geht darum, dass Kommunikation und Überwachung im Internet siamesische Zwillinge sind, die niemand voneinander trennen kann – jedenfalls nicht nach heutigem Stand der Dinge. Die Spitzel-Affäre mit ihren Verästelungen bis in die Werbeindustrie hinein ist kein Betriebsunfall im Internet, sie ist Teil des Internets. Und anders als friedliche Nutzer von Messern, Lastwagen und Kondomen sind harmlose Onliner nicht die Guten. Sondern die Dummen.

Wir liefern Futter für die Kraken. Mit unseren Daten und Cookies mästen wir das Monster. Wir verdammen den Missbrauch des Internets und machen ihn zugleich möglich, jeden Tag, mit jedem Klick. Egal ob auf Facebook, in einer Mail oder über einer Suchanfrage. Eine Wahl haben wir nicht, denn es gibt kein anderes Internet. Das ist das Dilemma. Reden wir also nicht von Kondomen.

Die „Welt“ und ihr Krieg: Sorry, wir waren trotzdem die Bösen

Die gute Nachricht ist: Von Kaiser Wilhelm ist Welt.de noch ein ganzes Stück weit entfernt. So verlogen bizarr wie Seine Majestät im August 1914 („Mitten im Frieden überfällt uns der Feind“) argumentiert die „Welt“-Redaktion nicht. Ihre soeben gestartete Serie über den Ersten Weltkrieg relativiert die deutsche Verantwortung für Europas Ur-Katastrophe nur. Zum Auftakt hat „Welt“-Autorin Cora Stephan einen Artikel aus dem vergangenen November recycelt. Die Kernthesen lauten hier wie dort:

  1. „Das Deutsche Reich war nicht ’schuld‘ am Ersten Weltkrieg“
  2. Eigentlich wollte Deutschland sich ja nur verteidigen
  3. Irgendwie waren doch alle auf Krawall aus
  4. Wenn England nicht eingegriffen hätte, wäre aus dem Krieg kein Weltkrieg geworden
  5. Und darum sind wie Deutschen ein Land wie jedes andere. Lassen wir uns keine Kriegsschuld einreden, denn:

    „Aus der Distanz von nunmehr fast hundert Jahren erscheint die Schulddebatte ein wenig wie die Fortführung jener kriegsüblichen Propaganda, der das Deutsche Reich damals kaum etwas entgegenzusetzen wusste, das sich in der Rolle des „Barbaren“, der belgische Frauen und Kinder schändete, vorgeführt sah.“

Gut, wir leben in einem freien Land. Man darf so etwas schreiben. Aber bevor noch „Welt“-Haudegen Tilman Krause in die Debatte eingreift und der SPD die Schuld am Ersten Weltkrieg gibt (nach seinem legendären Artikel über Annette Schavan muss man derartiges befürchten) sollten wir uns alle miteinander noch einmal die Fakten vergegenwärtigen:

  1. Der Erste Weltkrieg begann damit, dass die verbündeten Mächte Deutschland und Österreich-Ungarn Nachbarstaaten den Krieg erklärt haben und dort einmarschiert sind.
  2. Deutschland kannte überhaupt keine Alternative zum großen europäischen Showdown, weil sein einziges militärisches Konzept (Schlieffen-Plan) idiotischerweise nur den offensiv herbeigeführten Mehrfrontenkrieg vorsah.
  3. Deutschland hat gleich zu Beginn des Krieges zwei neutrale Länder überfallen und im größeren der beiden, in Belgien, Kriegsverbrechen wie aus dem Lehrbuch der Waffen-SS-begangen. Allein in der wallonischen Stadt Dinant massakrierten im August 1914 deutsche Truppen 674 Zivilisten, darunter 92 Frauen und 14 Kleinkinder unter fünf Jahren. Das  jüngste Opfer war ein drei Wochen alter Säugling.

Nur in einem Punkt mag die von der „Welt“ monierte Barbaren-Propaganda der Alliierten nicht gestimmt haben: Vielleicht haben die Deutschen wirklich keine belgischen Frauen und Kinder geschändet. Sie haben sie nämlich einfach umgebracht.

Dumm geplant, brutal begonnen, erfolglos geführt, erbärmlich beendet und zum Schluss noch die Dolchstoßlegende: Das ist der Beitrag der deutschen Eliten zum Ersten Weltkrieg. Gut, dass es 100 Jahre her ist. Aber vergessen wir es trotzdem nicht.

Neue Innovationsfehlerwege: Wenn das Phrasenschwein dreimal pfeift

Das Phrasenschwein ist auch so eine bedrohte Tierart. Die Zukunft-der-Medien-Debattierer stopfen gerade so viele Fünf-Euro-Scheine rein, dass es es irgendwann platzen muss. Verfolgt man zum Beispiel auf Twitter die Diskussion im Münchner Presseclub „Die Huffington Post Deutschland: Die Zukunft des Online-Journalismus oder ein Schritt in die falsche Richtung?“ fragt man sich: „Wie lange hält das arme Tier das noch aus? Und geht unwillkürlich in Deckung, um nicht von umherfliegenden Porzellanteilen getroffen zu werden. Folgende Sätze machen dem Schwein und einer konstruktiven Debatte besonders schwer zu schaffen:

  1. Wir müssen neue Wege gehen
  2. Wir müssen Fehler machen
  3.  Im Valley

Macht zusammen 15 Euro. Eine überschaubare Investition, aber dann doch zu wenig, um der Medienbranche weiterzuhelfen.

Lange Zeit hat man ja hilflose, tumbe Verleger als das eigentliche Problem ausgemacht. Es mag sie geben. Aber langsam frage ich mich, ob Innovationsfolkloristen im Kapuzenpulli wirklich die bessere Alternative sind. Nichts gegen das Valley (Disclaimer: Ich war noch nie im Valley, würde aber gerne mal hin und Sie müssen nicht weiterlesen, wenn ich mich damit in Ihren Augen disqualifiziert haben sollte).

Nichts gegen das Valley also, aber wenn die Medienbranche Innovationskultur lernen soll: Warum fängt sie nicht schon mal vor ihrer Haustür an und lernt von mittelständischen Maschinenbauern in Baden-Württemberg oder im Sauerland? Von Technologie-Unternehmen, die einfach nur innovativ sind? Das klingt echt uncool. Aber man könnte schon in Geislingen an der Steige und in Attendorn einiges mitbekommen. Zum Beispiel, Innovationen als absolut selbstverständlich zu betrachten und sie einfach zu machen, statt auf Medienpodien oder in Blogs darüber zu schwadronieren. Eigentlich ist es absurd: Wir sind die Technologie-Nation der Ingenieure und Erfinder, aber wir akzeptieren Innovationen nur, wenn man Hoodies dabei tragen kann.

Mein Vater war fast 40 Jahre Ingenieur in so einem langweiligen Unternehmen. Konstruktionsabteilung, Bereich Servotechnik. Von 7 bis maximal 17 Uhr, zum Mittagessen immer nach Hause. Sehr uncool, aber jede Menge Patente und immer schwarze Zahlen. Leider kann ich ihn seit einigen Jahren nicht mehr fragen, aber ich weiß, wie er auf „Wir müssen neue Wege gehen“ und „Fehler sind wichtig“ reagiert hätte: „Was glaubst du eigentlich, was wir in der Firma den ganzen Tag lang machen?“

Macht es doch selber!

medientage-neu

Online-Gipfel auf den Medientagen München: Die Huffpo war auch hier Thema Nummer eins. Foto: Medientage München.

Gibt es noch neue Wortmeldungen zum Thema Huffington Post? Die Betonung liegt auf „neue“. Also „neu“ im Sinne von „noch nie gehört“. Das scheint nicht der Fall zu sein. Danke, dann können wir diesen Teil der Debatte jetzt abschließen und zum eigentlichen Punkt kommen: Was kann man von einer Medienmarke lernen, die von einem linksliberalen Meinungsführer zu einer Boulevard-Zeitung für Sehbehinderte Hyperopie-Patienten mutiert ist und trotzdem rote Zahlen schreibt? Eine Menge. Und die Huffington Post in ihrem heutigen Zustand macht es einem sogar leicht.

  1. Sehen wir der Realität ins Auge. Kostenlose Blog-Beiträge als Ergänzung zur klassischen Redaktion sind die Zukunft, ob wir das wollen oder nicht. Mehr als eine Milliarde Menschen produzieren kostenlose Inhalte für Facebook. Wollen wir diese Menschen wirklich daran hindern, kostenlose Inhalte für journalistische Medienmarken zu produzieren?
  2. Und jetzt kommen Sie ins Spiel. Sie werden jetzt vielleicht denken: „Journalistische Medienmarken sind aber was anderes als Facebook“. Ja, das stimmt. Zum Glück. Und genau darum müssen diese Medienmarken journalistisch mit kostenlosen Inhalten umgehen. Sie haben Redaktionen und diese Redaktionen müssen redigieren. Sie müssen eine Auswahl treffen. Sie müssen gute Texte noch besser machen, an mittelmäßigen arbeiten und schlechte zurückgehen lassen. Sie veröffentlichen keine Artikel, die mit „Die Konferenz an sich ist sehr lohnenswert, denn sie bietet sehr viele Networkingmöglichkeiten für Blogger sowie für Tourismusindustrievertreter“ beginnen. Sie brauchen keine DAX-Vorstände oder Gazprom-Chefs als Autoren, wenn deren „Gastbeiträge“ aus der Phrasenfabrik ihrer PR-Bürokratie stammen und ihre Namen darüber eigentlich Etikettenschwindel sind.
  3. Übrigens. Die Huffpo-Blogs bringen ihren Autoren noch nicht einmal große Reichweite. Selbst eine kleine B-to-B-Website wie LEAD digital kann ihren Blogger mehr Traffic bieten als die deutsche Huffington Post. Heute kam der meistgelesene Blog-Artikel der Huffpo auf 353 Views. Bei LEAD digital waren es 3.552.
  4. Liebe Verleger, warum schlagt ihr die Huffington Post nicht einfach mit ihren eigenen Waffen? Aggregiert Ideen und Inhalte, aber macht es anders als die Huffington Post. Macht es auf eure Art. Ihr könnt kostenlose Blog-Artikel ruhig weiter verachten – aber nur, wenn sie schlecht sind. Wenn sie aber gut sind, dann macht sie noch besser und ergänzt damit euer redaktionelles Angebot. Lasst die Huffington Post ruhig auf Artikel-Masse setzen, sorgt ihr für Klasse. Oder habt ihr diesen Anspruch schon aufgegeben?
  5. Do it youself. Wenn Hubert Burda für die Marke Huffington Post Lizenzgebühren zahlen möchte, wird er sich schon etwas dabei gedacht haben. Aber das ist nicht unser Problem. Warum er das Huffington-Post-Modell nicht einfach bei Focus Online umgesetzt hat und wieso er unbedingt Arianna Huffington dazu brauchte – keine Ahnung. Wir müssen das nicht wissen. Ich finde, die deutschen Medienhäuser schleppen schon genug historischen Ballast mit sich rum; sie brauchen nicht noch unbedingt eine amerikanische Lizenz aus dem Jahr 2005. Was Huffington kann, das können sie auch. Wenn sie nur wollen. Also, liebe Verleger: Nutzt das Blogger-Modell doch einfach für euch selbst. Entwickelt es weiter. Macht es besser. Sucht euch gute Autoren. Zahlt sie mit Aufmerksamkeit, wenn sie vor allem Aufmerksamkeit wollen und gebt ihnen Geld, wenn Schreiben ihr Hauptberuf ist. Ihr braucht keine Arianna Huffington. Ihr braucht nur gute Blogger. Und Journalisten, die mit ihnen zusammenarbeiten (aber die habt ihr alle schon).

Huffington Post: Zurück in die Zukunft

Mark Twain, 1909. Foto: Library of Congress / Public Domain / Wikipedia

Mark Twain, 1909. Foto: Library of Congress / Public Domain / Wikipedia

Donnerstag also kommt die Huffington Post nach Deutschland, das „Anti-Geschäftsmodell für Journalismus“, wie der Vorstandschef von Axel Springer meint. Ganz abgesehen davon, dass man auch in manchen Springer-Publikationen etwas Anti-Journalistisches erkennen könnte: Die Huffington Post ist weder der Untergang des Journalismus noch seine alternativlose Zukunft. Vielleicht ist es eher seine Vergangenheit.

Wenn wir an Huffington Post denken, denken wir zuerst an kostenlose Blogger und aggregierten Content. Beides ist zwar typisch für die Huffington Post, aber Gratis-Gastbeiträge und nichtinvestigative Artikel haben deutsche Medien auch ohne Arianna Huffington fertiggebracht (was übrigens keine Schande ist).

Außer kostenlos und aggregiert steht die Huffington Post aber noch für etwas anderes: für die Entakademisierung des Journalismus. Damit meine ich nicht nur die Blogger, die ohne journalistische Ausbildung und Erfahrung HuffPo-Artikel schreiben. Auch bei der Auswahl der Redakteure spielen akademische Abschlüsse oder Volontariate keine besondere Rolle.

In der aktuellen „Zeit“ (Printausgabe) erzählt Götz Hamann von einem 27-Jährigen Workaholic namens Travis Donovan, der noch vor drei Jahren „keine Ahnung vom Journalismus hatte“ und sich als Sozialarbeiter um behindertengerechtes Wohnen in Flagstaff, Arizona, kümmerte. Dann machte er ein Praktikum bei der Huffington Post, ergatterte dort einen Job als Redakteur für Umweltthemen, baute die HuffPo-Seite Huffington Post Green auf und treibt heute als eine Art journalistischer Entwicklungschef („executive editor of product“) Innovationen bei der HuffPo voran. Mit 27. Ohne nennenswerte journalistische Vorgeschichte. Aber mit Energie, Einsatz und vorzeigbaren Ergebnissen. Eine in den „klassischen Medien“ undenkbare Karriere. Oder?

Blicken wir auf die Pionierzeit der „klassischen Medien“ zurück, gehen wir mal kurz ins 19. und frühe 20. Jahrhundert. Journalist wurde man damals nicht durch Lernen, sondern durch Machen. Journalistenschule? Gab es nicht. Studium? Nicht nötig. Abitur? Nice to have. Das, was man heute „formale Qualifikation“ nennt: Unbekannt.

Mark Twain jobbte als Schriftsetzer, Missisipi-Lotse und Goldgräber, eher er Lokaljournalist wurde. William Howard Russell, der Vater der modernen Kriegsberichterstattung, studierte ein bißchen in Dublin und Cambrigde und schrieb ab 1841 für die „Times“. Damals war er 20 Jahre alt. Ernest Hemingway startete seine Laufbahn als Redakteur bei einer Regionalzeitung namens „Kansas City Star„. Mit 18. Und Theodor Wolff hatte noch nicht einmal Abitur. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger hat einen der bedeutendsten Journalistenpreise der Republik nach ihm benannt. Gibt es einen deutschen Zeitungsverleger, der jemanden mit Theodor Wolffs Qualifikation heute in irgendeine Redaktion aufnehmen würde? Ich glaube nicht.

Aber man muss noch nicht einmal Ausnahmeschreiber wie Mark Twain, Ernest Hemingway oder Theodor Wolff bemühen, um die Vorurteilslosigkeit damaliger Verleger und Chefredakteure zu dokumentieren. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ eine der renommiertesten Blätter im deutschen Sprachraum (sie hat mit der heutigen AZ nur den Namen gemein). Der Titelheld meiner Dissertation, Karl von Hofmann, Diplomat und Ministerpräsident des Großherzogtums Hessen in der Reichsgründungszeit (muss man nicht kennen), schrieb als absolut unbekannter Rechtsreferendar politische Artikel für die „Augsburger Allgemeine“. Natürlich ohne jede formale journalistische Qualifikation.

Journalismus als von anderen Berufsgruppen abgeschottete und akademisierte Profession, als Klasse für sich: das ist eine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts. Wobei dieses Konzept von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Denn das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit kennt keine Journalisten. Es kennt nur Bürger, die dieses Recht in Anspruch nehmen – egal wie qualifiziert oder wie gut oder wie schlecht. Die deutsche Huffington Post macht sich das zunutze, weiter nichts.

„Woher kommt dieser unglaubliche Hass, diese Häme auf die FDP?“

rainer-brüderle

Rainer Brüderle im Photoshop-Modus. Foto: FDP.

Am Tag eins nach der FDP zitiert Spiegel Online einen abgewählten Bundestagsabgeordneten:

„Woher kommt dieser unglaubliche Hass, diese Häme auf die FDP?“

Man kann das nicht rechtfertigen, aber vielleicht erklären.

Erstens: Die Glaubwürdigkeit der Marke FDP tendiert gegen Null und einer der Gründe dafür hat sich in über 30 Jahren verfestigt. Ich meine damit den Koalitionsbruch von 1982 als Ausgangspunkt, die so genannte „Bonner Wende“, den Sturz von Helmut Schmidt. Die Verachtung, die der FDP heute entgegenschlägt, entstand in diesem Herbst. Sicher brachte die FDP damals wichtige Argumente für den Wechsel zur CDU vor. Aber diese Argumente konnten Millionen Deutsche nicht nachvollziehen und schon gar nicht akzeptieren; für sie war es „Verrat“ am sozialliberalen Bündnis und natürlich am Kanzler selbst. Ich durfte damals zwar noch nicht wählen, aber ich kann mich an die damalige Stimmung und den „Schmidtleidseffekt“ bei den folgenden Landtagswahlen noch gut erinnern. Diese „Wende“ hat sich in das kollektive Gedächtnis von zwei linksliberalen Generationen eingebrannt. Die leeren „Mehr-Netto“-Versprechungen von 2009 haben der FDP den Rest gegeben. Sie hat sich damit auch bei weiten Teilen ihrer wirtschaftsorientierten Wählerschaft unmöglich gemacht.

Zweitens: Das Personal. Jede Partei hat ihre peinlichen Protagonisten, Skandalnudeln und Knallchargen. Die Union kann zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff aufbieten. Trotzdem bleibt der Fremdschäm-Faktor der „Liberalen“ unerreicht (die Anführungszeichen erkläre ich gleich). Keine andere im Bundestag vertretene Partei hat es bis jetzt fertiggebracht, einen rechtskräftig verurteilten Steuerkriminellen zum Vorsitzenden zu wählen und Menschen wie Jürgen Möllemann groß werden zu lassen. Die FDP ist eine Partei, der nichts und niemand peinlich zu sein scheint. Das erklärt auch die Kanzlerkandidatur von Guido Westerwelle 2002 und den Winzerfest-Agitator Rainer Brüderle, dessen Vorgänger als FDP-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz übrigens einen Juwelenladen überfiel, nachdem er aus dem Landtag geflogen war. (Auch das ist eine Geschichte, die vielleicht nur einem FDP-Spitzenpolitiker passieren kann). Aber jetzt kommt ja Christian Lindner.

Drittens: Das Programm und damit das Produktversprechen. Die FDP vermarktet sich als Deutschlands parteigewordenen Liberalismus. Was ungefähr so realistisch ist wie das wachspuppenhafte Foto von Rainer Brüderle über diesem Artikel. Tatsächlich ist die FDP in ihrer heutigen Form eine zutiefst konservative Partei. Im Grunde genommen geht es ihr nämlich nicht um die liberalen Großthemen Freiheit und Fortschritt, sondern um Besitzstandswahrung für ihre Klientel. Das liberale Feld der FDP wäre eigentlich die digitale Welt. Aber als es um die Legalisierung des Online-Medikamentenhandels ging, stand sie auf Seiten der klassischen Apotheker und die Frage nach einem modernen Urheberrecht beantwortete sie mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Man kann solche Standpunkte vertreten. Aber nicht unbedingt mit dem Etikett der Liberalität.

Man muss jedenfalls nicht auf dem Grab der FDP tanzen, um festzustellen: Diese Partei braucht ’s nicht. Verkneifen wir uns aber den inneren Autokorso. Das Missmanagement der FDP-Spitze kostet immerhin mehrere hundert Arbeitsplätze.

Leichte Beute

Das merkwürdigste Thema, mit dem ich in den vergangenen Wochen zu tun hatte, war die Affäre um den Bischof von Limburg. Aus W&V-Sicht interessierte natürlich die missglückte Krisenkommunikation. Aber dass ein kleiner Gastbeitrag des PR-Beraters Hasso Mansfeld gleich zu einem Termin beim Bischof führte und seine Verhandlungen von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ aufgegriffen wurden, das hätte ich dann doch nicht erwartet. Besonders gut gefiel mir natürlich die Headline „Werben & Verkaufen“.

Ich habe Hasso Mansfeld am Dienstag noch einmal interviewt. Natürlich geht es ihm um einen interessanten Auftrag und darum, den Kontakt nach Limburg nicht ganz abreißen zu lassen, das merkt man ihm an. Was einen aber nicht hindern sollte, über Mansfelds Medienkritik nachzudenken.

Es ist leicht, sich auf die Person des Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst einzuschießen. Wahrscheinlich hat er es auch nicht besser verdient. Aber was, wenn dieser Mann nur ein Symptom für ein komplett gestörtes System wäre? Als Leser der „Luxusbischof“-Artikel in Deutschlands Qualitätsmedien fehlen mir einfach die Vergleichswerte, und bisher hat sie mir noch keine Redaktion liefern können.

Offensichtlich lebt der Bischof gern gut. Aber inwieweit dieser Lebensstil von dem seiner aktiven Kollegen* abweicht, das hat mir noch kein „Spiegel“ erklärt. Welche Dienstautos fahren die anderen Bischöfe, welche Wohnflächen beanspruchen sie, wie viele Mitarbeiter beschäftigen sie in ihrer unmittelbaren Umgebung, wie viel verdienen sie überhaupt und wer zahlt das alles – der gemeine Katholik oder wir alle (weil es sich um Quasi-Beamte handelt)? Liebe Publikumspresse, wenn ihr wollt, dass ich mich empöre (und ich weiß, dass ihr es wollt), dann gebt euch doch bitte mal ein bisschen mehr Mühe und findet das heraus. Bei Politiker-Skandalen schafft ihr’s doch auch.

* Die Betonung liegt auf „aktive“. Kommt mir jetzt bitte nicht mit diesem Vorgänger, der VW Golf fuhr und seit Jahren in keinem gepflegten Tebartz-van-Elst-Artikel fehlen darf! 

In einem anderen Land

Gartenmitbenutzung auf Mecklenburgisch: Gutspark in Dalwitz.

Gartenmitbenutzung auf Mecklenburgisch: Gutspark in Dalwitz.

Wer seine westdeutschen Vorurteile über den Osten nicht ruinieren lassen will, der sollte Mecklenburg meiden. Ich bin in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen und die DDR kenne ich nur von einem Schulausflug, der uns 1984 wie eine Safari vorkam. Die deutsche Einheit lief dann irgendwann im Fernsehen. In den 90ern zwei oder drei kurze Reisen in die neuen Länder, später noch ein Abend am Prenzlauer Berg und ein Wochenende in Heiligendamm, das war’s dann auch schon mit meiner Ost-Erfahrung.

Dann hatte zu Hause jemand die Idee, Ferien auf dem Bauernhof zu machen. Bauernhöfe gibt es viele, am Ende gaben die großzügigen Innenräume den Ausschlag (was in der Ferien-auf-den-Bauernhof-Branche übrigens eine echte Marktlücke ist). Die Wahl fiel also auf Gut Dalwitz in 17179 Walkendorf, Landkreis Rostock.

Herrenhaus-Wohnung Gut Dalwitz

Wir buchten im Januar so spontan, dass ich die Reise bis August in Gedanken mindestens viermal storniert habe. In Mecklenburg? Eine Autostunde von der Ostsee entfernt und noch nicht einmal ein größerer See in der Nähe? (Im Touristik-Deutsch heißt diese Gegend neuerdings „Mecklenburger Parkland“, irgendwie muss man eine Gegend mit viel Landschaft und wenig Badegewässern ja vermarkten). Ich weiß jetzt immerhin, dass es nicht nur eine innere Emigration gibt, sondern auch eine innere Reise-Stornierung.

Ich rechnete mit einer Art ostdeutschen BRD. Mit ländlichen Siedlungen, die eher Wohngegenden als Dörfer sind, mit sterilen Zierrasen um häßliche Anbauten und mit vielen kleinen Gewerbegebieten voller Aldi, Lidl und Kick. So wie in der westdeutschen Provinz eben, nur mit weniger Hoffnung, weniger Frauen und mehr Neonazis. Aber so war es in Mecklenburg nicht.

getreidefeld dalwitz

An das bucklige Straßenpflaster muss man sich zwar gewöhnen, auch an die Vorliebe vieler Mecklenburger für schlammpfützenfarbene Hauswände. Aber die dezent gewellte Landschaft mit ihren Buchenalleen, Getreidefeldern und Laubwäldern kann man nur lieben. Ein Spot für Karo-Kaffee ist nichts dagegen. Äpfel und Mirabellen haben wir am Rand der Landstraße von den Bäumen pflücken können; sie stehen da so selbstverständlich wie anderswo Straßenlaternen. Kauft dort überhaupt jemand Äpfel?

Die Dörfer fallen nicht weiter auf; sie sind unspektakulär, ohne die in Norddeutschland sonst übliche Reetdach-Folklore. Interessante Menschen leben da. Unser eigener Vermieter ist ein gutes Beispiel. Ein Agrarwissenschaftler und früherer Entwicklungshelfer, der gemeinsam mit seiner uruguayischen Frau das Gut seines enteigneten Großvaters zurückerworben hat. In über 20 Jahren haben die beiden einen ökologischen Musterbetrieb aufgebaut und zwischendurch auch schon mal Prinz Charles über den Hof geführt. Ihre Geschichte erschien 2011 in einer „Geo Special“-Ausgabe über Mecklenburg-Vorpommern; eigentlich klingt es wie der perfekte TV-Stoff.

Das Gut gibt nicht nur den Einheimischen Arbeit. Beim wöchentlichen Asado, dem südamerikanischen Barbecue im Gutspark, lernten wir Alfred kennen, einen Rentner aus Köln. Er hat lange in Namibia gelebt und ist vor einem Jahr in eines der Nachbardörfer von Dalwitz  gezogen. Wenn er Lust hat, hilft er dem Grafen bei der Landschaftspflege. Südwestafrika sei ihm auf die Dauer zu einsam und seine rheinische Heimat „zu voll“, erzählte er. Mecklenburg, das am dünnsten besiedelte Bundesland ist ein guter Kompromiss für ihn.

Dann gibt es im Ort die tüchtige Frau Kümmel, die nach der Wende einen Schweinestall zum florierenden Klein-Supermarkt umgebaut hat. Im Sommer öffnet sie auch sonntags  – wenn sie nicht gerade für einen Kunden frischen Dill aus dem Garten holt (weshalb wir bei unserem ersten Besuch ein bißchen auf sie warten mussten). Überhaupt, die Gärten: Bei vielen Mecklenburgern möchte man gern mal zum Mittagessen eingeladen werden; Obst, Gemüse und Kräuter bauen sie dort an, wo man im Sauerland den Rasen mähen würde. Oft laufen auch noch Hühner, Gänse oder Schafe im Garten herum. Wegen der Gänse wäre eines Esseneinladung im Spätherbst besonders nett.

Viele historische Gutshäuser sind vor dem Verfall gerettet worden. Erst einmal, denn das Ende der Geschichte ist meist noch offen. Es muss eine ziemlich bunte Szene sein, die sich an die Renovierung wagt. Ein dänisches Ehepaar hat sich in der Nachbarschaft von Dalwitz niedergelassen und ein Herrenhaus namens Rensow restauriert; heute veranstalten die beiden Abendessen nach Voranmeldung und dazu noch jeden Mittwoch eine Art Selbsthilfegruppe für Schlossbesitzer. Zum Beispiel für Leute, die für verführerisch wenig Geld halbe Ruinen gekauft haben und damit überfordert sind. Auch das gibt es.

Skinheads habe ich übrigens in zwei Wochen Mecklenburg nicht gesehen. Was leider nichts an den Wahlerfolgen der NPD in Mecklenburg-Vorpommern ändert. Es gibt Rechtsextremismus, aber scheinbar zeigt er sich nicht gerne.

Gar nicht ostdeutsch wirkt übrigens die Landeshauptstadt Schwerin, die übrigens eine architektonische Perle ist und ganz ohne hanseatisches Maritim-Gedöns einfach nur schön am Wasser liegt. Schwerin ist Mecklenburg im fortgeschrittenen Stadium der Gentrifizierung. Es gibt dort Jaques Wein-Depot, Menschen mit Nerd-Brillen und eine Bio-Bäckerei mit zwei strengen Oberlehrerinnen hinterm Tresen. Jetzt noch ein paar Land Rover mehr in der Stadt und man käme sich vor wie in Schwabing.

It’s the economy, stupid!

Mathias Döpfner beim nächsten Rekord. Bilanzpressekonferenz 2013.

Mathias Döpfner beim nächsten Rekord. Bilanzpressekonferenz 2013.

Für die aktuelle Print-Ausgabe des „Stern“ hat jemand den Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer, Mathias Döpfner, interviewt. Von dem spektakulären Verkauf der Regionalzeitungen und Zeitschriften Springers an die Funke-Gruppe ist noch nicht die Rede, sie war dem „Stern“ zum Zeitpunkt des Gesprächs sicher nicht bekannt. Aber dass die Ausgabe an dem Tag erschien, an dem der 920-Millionen-Euro-Deal wie eine Bombe in die Medienwelt einschlug, war für Döpfner wohl nicht ganz zufällig.

Im Interview geht es um Richard Wagner, um Opern (wovon ich leider nicht viel verstehe) und schließlich auch um Axel Springer. Der Mann vom „Stern“ – tapfer, aber auf der ganzen Linie überfordert – versuchte Döpfner u. a. nachzuweisen, dass die Marke Axel Springer wie eine Oper inszeniert werde. Er spielte auf das Spektakel um den USA-Aufenthalt von „Bild“-Chef Kai Diekmann an. Döpfner antwortete sinngemäß, für Springer und seine Manager sei es eine Fortbildungs- und Innovationsmaßnahme gewesen. Zur Oper hätten es Journalisten anderer Verlage gemacht-. Woran man sie nicht hindern könne.

Das stimmt. Zu jeder Oper gehören zwei Seiten: die, die sie inszeniert, und die, die sie sehen und darüber reden will.

Wir dürfen Döpfner und Diekmann unterstellen, dass sie die große Medienoper lieben. Aber nur wir, die Öffentlichkeit, machen diese Oper möglich. Der beste Beweis dafür sind die theatralischen Reaktionen auf den Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften an die Funke-Gruppe.

Was ist geschehen? Springer gibt einen hochprofitablen Geschäftsbereich mit 18,5 Prozent Umsatzrendite ab, um sich auf seine wichtigsten Marken zu konzentrieren, „Bild“ und „Welt“. Für die betroffenen Mitarbeiter ist das eine schlimme Nachricht, da gibt es nichts zu beschönigen, auch wenn Springer selbst schreibt, es sei „das Beste“ für die Mitarbeiter (ein Satz, den man auch schon auf Beerdigungen gehört hat). Die Funke-Gruppe gilt als rücksichtslos kostenbewusst, das wissen nicht nur die gekündigten Mitarbeiter ihrer „Westfälischen Rundschau“. Hier darf und muss man sich Sorgen machen. Aber um was noch? Um Springer etwa?

Um das verlegerische Erbe von Axel Springer, den manche Kommentatoren schon im Grab rotieren sehen? Um die jetzt immer wieder bemühten „gekappten Wurzeln“ des Hauses Springer? Um den publizistischen Charakter des Unternehmens? Bitte nicht. Das ist Verlagsfolklore, die schon lange an der der Realität vorbei geht.

Die „Wurzeln“ des Hauses haben ein börsennotiertes Unternehmen nicht zu interessieren. Wenn es an der Börse um die „Wurzeln des Hauses“ gehen würde, dann produzierte VW immer noch den Käfer und Nokia Gummistiefel.

Funke könnte Medienmarken entkernen und Redaktionen poolen? Ja, das ist leider zu befürchten. Aber Springer selbst hat Funke es vorgemacht. Die jetzt verkaufte „Berliner Morgenpost“ hat Springer schon 2006 in eine Redaktionsgemeinschaft mit der „Welt“ zusammengelegt und das „Hamburger Abendblatt“ noch 2012 in diese Zwangsehe folgen lassen. Beide Medienmarken haben also schon jetzt keine Vollredaktionen mehr.

Und der publizistische Charakter des Springer-Konzerns? Das Fehlen eines „echten Verlegers“? Was soll das sein? Welcher Verlag hat denn noch einen Verleger? Der „Spiegel“ vielleicht, dessen Redakteur Markus Brauck genau das der Axel Springer AG vorhält? Nein, der Verleger des „Spiegel“ ist 2002 gestorben.

Und was hätte Axel Springer dazu gesagt? Dreht er sich jetzt wirklich im Grab um? Schon diese Klischee-Frage sollte sich jedem ernsthaften Medienjournalist verbieten. Sie passt besser in einen Inga-Lindström-Film im ZDF, Sonntags um 20 Uhr 15. Aber wer sie wirklich erörtern möchte, bitte: Er möge sich daran erinnern, dass Axel Springer die väterlichen „Altonaer Nachrichten“ ebenso unsentimental im „Abendblatt“ aufgehen ließ wie er seine Heimat Hamburg gegen Berlin eintauschte. Und wie traditions- und verlegerfamilienbewusst Axel Springer plante, das zeigt schon die heutige Funktion seiner Nachkommen im Konzern: es gibt keine.

Wir müssen das alles nicht gut finden. Wir können uns inhabergeführte Verlage mit starken Publizisten an der Spitze wünschen. Aber wir müssen alle zur Kenntnis nehmen, dass die Realität eine andere und Axel Springer ein börsennotiertes Unternehmen wie jedes andere ist. Mit gierigen renditebewussten Aktionären wie anderswo auch. Und Mathias Döpfner dient diesen Aktionären. So wie andere Vorstandsvorsitzende auch.

A propos Rendite: 18,5 Prozent hat die verkaufte Springer-Sparte zuletzt eingefahren. Peter Turi (von dem man eigentlich sehr viel lernen kann) nennt das „renditeschwach“. Tatsächlich lag sie nur knapp unterhalb des Springer-Schnitts (19 Prozent), und der ist so hoch, dass den meisten deutschen Unternehmern schwindlig würde.

Überhaupt, die Zahlen. Hier muss man einen weiteren Mythos hinterfragen. Wir glauben ja gerne, dass früher alles besser war. In den goldenen Jahren. Um 2000. Als Print boomte und die Verlage nicht wussten, wo sie das Papier für ihre ganzen Anzeigen hernehmen sollten. Was glauben Sie, was Axel Springer im Boomjahr 2000 für eine Umsatzrendite herausgeholt hat? Und Gruner + Jahr? Noch mehr als 19 Prozent? Nein. Es war viel weniger: Noch nicht einmal zehn Prozent. Hier sind die Zahlen von Springer (2000) und hier die von Gruner +Jahr (Geschäftsjahr 2000/2001). Womit wir beim eigentlichen Verdienst und der Mission von Mathias Döpfner wären: Nicht unerhörte digitale Revolution ist sein Auftrag, sondern unerhörte Rendite. Aus seiner und der Aktionäre Sicht ist das handelsüblich. Andere nennen es gewöhnlich. Es ist jedenfalls keine Oper.

Social-Media-Journalisten gesucht

Gestern fragte mich der Redakteur eines Fachmagazins, ob ich einen freien Journalisten wüsste, der über Social Media schreiben könnte. Nicht, dass der Redakteur mit dem Thema überfordert wäre. Der nicht. Er ist einer von denen, die man eigentlich klonen müsste. Aber es ist Urlaubszeit, die Redaktion ist noch enger besetzt als sonst und darum muss (und darf er ausnahmsweise) Aufträge an externe Autoren vergeben. Es gibt auch jemanden, den ich ihm empfehlen konnte.

Trotzdem beschäftigte mich die Frage: Warum gibt es eigentlich so wenige freie Journalisten, die von Social-Media-Expertise leben können? Noch vor zehn oder 15 Jahren arbeiteten um jedem größeren Fachtitel einen Kreis aus freien Autoren herum, die in ihrem jeweiligen Spezialgebiet gefragte Experten waren. Von existentieller Medienkrise war damals noch nicht die Rede, aber diese Freelancer taten damals genau das, was ihnen heute gepredigt wird: Inhaltliche Nischen besetzen, eigene Medienmarken werden. Und ausgerechnet bei einem Großthema wie Social Media soll das jetzt nicht funktionieren? Nein, es funktioniert wohl wirklich nicht. Wie auch? Viele Redaktionen geben kaum noch Aufträge heraus. Und wenn externe Journalisten geholt werden, dann ersetzen sie zu schlechteren Konditionen die bislang festangestellte Redakteure.

Der Fachautor im klassischen Sinne – extern schreibend statt intern redigierend, unabhängig von nichtjournalistischen Nebentätigkeiten – ist ein Auslaufmodell. Das zeigt das Beispiel Social Media. Hier sitzt die Kompetenz in den Agenturen und Unternehmensberatungen, kaum in den freien Redaktionsbüros. Und selbst die freien Journalisten, die über Social Media schreiben, arbeiten fast ausnahmslos auch als Social-Media-Berater. Übrigens auch der Kollege, den ich empfohlen habe.

Macht ihn das weniger kompetent? Nein.

Macht ihn das weniger glaubwürdig? Nur dann, wenn er seine Beratertätigkeit und damit verbundene Interessenkonflikte nicht transparent macht.

Ist das ein Verlust an traditioneller journalistischer Kultur? Ja.

Ist diese traditionelle journalistische Kultur noch zeitgemäß? Ich weiß es nicht.

Was weiß ich dann? Dass Kompetenz und Glaubwürdigkeit nicht von einem Presseausweis abhängen.

 

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