Sie möchten Springer enteignen? Mir fehlt dazu gerade die Motivation, denn mit dem neuen iPad-Magazin „Epos“ („Das erste Wissen- und Geschichtsmagazin für die digitale Zeit“) ist dem Konzern ein großer Wurf gelungen.
Die erste „Epos“-Ausgabe erzählt für 6,99 Euro die Geschichte des Ersten Weltkriegs. Und zwar so, dass man ihr folgen kann. Das klingt simpel, ist aber in technikverliebten Entwicklungsredaktionen alles andere als selbstverständlich. Viele digitalen Erzählformate kranken nämlich daran, dass sie vor lauter Multimedia-Kraft die Story nicht zum Laufen bringen und den Leser hilflos zwischen Text-, Bild- und Video-Elementen umherirren lassen. Das erinnert dann an einen Opel-Manta-Fahrer, der an der Ampel lieber die Stereo-Anlage aufdreht und den Motor aufheulen lässt, als bei Grün loszufahren.
Genau diesen Fehler hat man diesmal nicht gemacht. „Epos konzentriert sich auf das Lesen, heißt es in der Pressemitteilung. Soll bedeuten: Statt multimedialer Kakophonie herrscht bei „Epos“ ein klares, lineares Prinzip. Der geschriebene Text ist das Leitmedium, und auf ihn ist alles andere abgestimmt: Bebilderung, Animationen, Info-Kästen, Ton -und Video-Dokumente. Der Leser dankt.
„Epos“ ist in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum in Berlin entstanden. Man merkt dem Magazin an, dass neben Journalisten auch routinierte Museumspädagogen mit Blick für besondere Details am Werk waren. Es hat ihm gut getan (Was einen nebenbei auf den Gedanken bringt, dass gute Museumsmacher vielleicht öfters mit Multimedia-Projekten beauftragt werden sollten, denn sie kennen sich mit multimedialen Vermittlung komplexer Inhalte wahrscheinlich besser aus als die meisten Journalisten).
Ist „Epos“ perfekt? Natürlich nicht. Es gibt einige kleine Schönheitsfehler wie falsche Ränge und Titel (die aber wohl nur promovierte Historikern stören), die Textqualität ist ordentlich, aber nicht herausragend, und warum finde ich eigentlich nichts über den deutschen Bündnispartner Türkei? Trotzdem ist „Epos“ das beste Digitalmagazin, das ich seit langem gesehen habe.
Gute journalistische Geschichtsschreibung gilt eigentlich als Spezialität des „Spiegel“. Zufälligerweise kam er genau in dieser Woche mit einem historischen Thema auf dem Titel: „Mein Vater, der Mörder“, eine sehr persönliche Geschichte von Cordt Schnibben. Für das Internet entstand daraus eine digitale „Story“ mit bedeutungsschwerer Musik, Comic-artigen Illustrationen, spielerischen Funktionen wie „In die Akte zoomen“ und Textschnipseln, die ein bisschen an die Sendung mit der Maus erinnern. Ich hab’s irgendwann aufgegeben und die Geschichte in der Print-Ausgabe gelesen.
Update: Marcus Anhäuser hat sich „Epos“ auch angesehen und beschreibt das Magazin in diesem Screencast:
Marcus Anhäuser
Wer mal einen Blick drauf werfen will, ein kurzer Film zeigt, wie es funktioniert: http://scienceblogs.de/plazeboalarm/index.php/ein-erster-blick-auf-das-wissensmagazin-epos/