Was ist eigentlich aus Carta geworden? Christoph Kappes war dort einmal Herausgeber, ein sicheres Zeichen für Qualität. Heute erinnert das „Autorenblog für digitale Öffentlichkeit, Politik und Ökonomie“ nur noch entfernt an den Grimmepreis-Träger des Jahres 2009. Der gerade erschienene Artikel „Thomas Koch, der Journalismus und die Wahrheit des Jahres“ von Christian Sickerdieck stellt den Respekt vor dem Projekt Carta auf eine schwere Probe – auch wenn er mit einer Eloge auf den geschätzten W&V-Blogger Thomas Koch beginnt und ein interessantes Zitat von ihm bringt:
“Früher habe ich Artikel gelesen und mich gar nicht dafür interessiert, wer sie geschrieben hat. Heute schaue ich zuerst, wer es geschrieben hat. Und dann lese ich.”
Das kann ich gut verstehen, auch wenn es mir speziell bei Carta anders gegangen ist: Hier vertraute man allein schon der Marke. Aber Christian Sickerdieck bringt einen dazu, vielleicht doch lieber auf den Autorennamen zu achten. In seinem Beitrag entwirft er ungefähr folgende Kausalkette:
„Die Medien“ haben in den vergangenen Jahren das Vertrauen der Leser verspielt (Beweis Nr. 1: Der Spiegel-Bericht über Prostitution, Beweis Nr. 2: Sie haben früher mal positiv über Christian Wulff geschrieben).
Daraus folgt:
Vertrauen genießen nur noch einzelne Journalisten,
und darum
geht es „den Medien“ auch so schlecht:
Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt: Ich als Leser muss dem Journalisten, dem Medium vertrauen können. Und an diesem Punkt lässt sich die gesamte Misere der Medien festmachen: Nicht das Internet ist schuld an den Schwierigkeiten der Zeitungen, Zeitschriften und Magazine. Der Hauptgrund ist der unfassbare Vertrauensverlust in den letzten Jahren, den die Medien selbst zu verantworten haben.
Die Inkompetenz „der Medien“ macht Carta-Blogger Christian Sickerdieck unter anderem daran fest, dass der „Spiegel“ es wagt, jemanden wie Jan Fleischhauer zu beschäftigen.
Wenn ich da zum Beispiel Jan Fleischhauer vom “Spiegel” nehme, da schaue ich nicht einmal mehr auf die Texte im Print, das wird im Wartezimmer beim Arzt einfach überblättert. Da lächele ich dann nur noch in mich hinein und frage mich, wer sich beim ehemaligen “Sturmgeschütz der Demokratie” für dessen Einstellung verantwortlich zeigt.
Nun kann man sehr viel über (oder besser: gegen) Jan Fleischhauer sagen. Ich wäre sofort dabei. Aber kann man ihn nicht einfach aushalten? Und Meinungen, die einem persönlich nicht passen, ertragen? Meinungsfreiheit und Offenheit gegenüber Andersdenkenden: das ist das, was das Netz ausmacht. Es wäre schlimm, wenn sich hier eine Art deutsches Digital-Spießertum ausbreiten würde, das allein den persönlichen Meinungshorizont zum Maßstab der Dinge macht. Das gilt übrigens auch für das Leistungsschutzrechts-Debatte. Kaum jemand findet das Leistungsschutzrecht gut, ich auch nicht. Ich finde es sogar ziemlich abwegig. Aber Journalisten, die es verteidigen, so abzuqualifizieren wie Carta es tut, das ist überheblich und intolerant:
In der Debatte um das Leistungsschutzrecht wurde immer wieder von Qualitätsjournalismus gesprochen, von der wichtigen Funktion, die der Journalismus in einer Demokratie einnimmt. Ich widerspreche nicht, doch mit der Einführung des Leistungsschutzrechts, mit jedem Artikel, der pro Leistungsschutzrecht argumentiert hat, ist genau das Gegenteil passiert.
Nicht intolerant, sondern einfach nur absurd ist diese Passage:
Wenn dieses Vertrauen wieder hergestellt wird – und das ist heute erste Aufgabe der Medien und Verlage -, ist die Finanzierung des Journalismus nur noch eine rein technische Frage. Die Menschen sind bereit, im Internet zu zahlen, nicht umsonst sind “Apple” und “Google” die wertvollsten Marken weltweit.
Die Finanzierung des Journalismus ist nach wiedergewonnenem Vertrauen in „die Medien“ nur eine technische Frage? Es fällt hier schwer, ernst zu bleiben. Und warum der Markenwert von Google und Apple (die übrigens nicht zweifelsfrei die zwei wertvollsten Brands der Welt sind) das Potenzial von redaktionellen Bezahlinhalten beweisen soll, das verstehe ich immer noch nicht.
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